Herzflimmern
Ich muß starke Sonne möglichst meiden, und wenn ich erröte, wird nur eine Gesichtshälfte rot.«
»Das möchte ich sehen. Machen Sie mal.«
»Ich kann doch nicht auf Kommando erröten.«
Er trat ein wenig dichter an sie heran, so daß seine Beine die ihren berührten, und sagte, die Hand immer noch an ihrem Kinn: »Ich würde unheimlich gern mit Ihnen schlafen, gleich hier, auf dem Untersuchungstisch.«
Ihr stockte der Atem, und sie spürte, wie sie rot wurde.
»Ha!« rief er triumphierend und trat einen Schritt zurück. »Es stimmt. Nur Ihre linke Gesichtshälfte ist rot geworden.«
Sie starrte ihn stumm an, während er zu seinem Stuhl zurückkehrte, sein angebissenes Brötchen nahm und weiteraß.
»Sie wollen also Schönheitschirurgin werden und die Welt von aller Häßlichkeit befreien?«
»Kein Mensch kann etwas für sein Aussehen. Nur weil Sie das Glück hatten, gutaussehend geboren zu werden –«
»Finden Sie wirklich?«
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»Ich wollte damit sagen –«
»Ihre linke Gesichtshälfte ist wieder rot, Dr. Long.«
»Warum verspotten Sie mich?«
Er sprang sofort auf. »Oh! Seien Sie mir nicht böse. Ich habe doch nur Spaß gemacht. Ich wollte Sie nicht kränken.« Er trat zu ihr und faßte sie am Arm. »Es tut mir wirklich leid. Bitte gehen Sie jetzt nicht.«
Mickey sah zu ihm auf. »Ich war niemals häßlich – es gibt kaum einen Menschen, der wirklich häßlich ist. Aber ich fand mich häßlich. Das Muttermal sah nicht schlimmer aus als ein Sonnenbrand, aber da ich überzeugt war, es würde abstoßend wirken, benahm ich mich auch so. Nachdem Dr. Novack das Mal entfernt hatte, wurde ich ein anderer Mensch. Über Nacht praktisch kam eine ganz andere Mickey Long zum Vorschein – die wahre Mickey Long. Mehr als alles andere hatte sich das Bild verändert, das ich von mir selber hatte. Das ist der Grund, warum ich in die plastische Chirurgie möchte: Ich möchte anderen Menschen, die unter körperlichen Verunstaltungen leiden, zu einem freundlicheren Bild von sich selber und damit zu einem glücklicheren Leben verhelfen.«
Er betrachtete ihr ernstes Gesicht und seine Schnodderigkeit von zuvor erschien ihm plötzlich völlig unpassend.
Sie sahen einander schweigend an. Er umfaßte ihren Arm fester, und ein starkes körperliches Gefühl überkam sie, wie sie es nur einmal zuvor gespürt hatte, vor zwei Sommern in den Armen Chris Novacks.
»Meine Lebensgeschichte kennen Sie«, sagte Jonathan. »Jetzt erzählen Sie mir Ihre.«
»Da gibt es nichts zu erzählen.«
»Keine Familie?«
»Nein. Mein Vater hat uns verlassen, als ich noch sehr klein war, und meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben.«
»Dann sind Sie ganz allein?«
»Ja …«
Als das Summen der Sprechanlage in die Stille drang, reagierte zunächst keiner von beiden.
»Tut mir leid, Mickey«, kam die Stimme der diensthabenden Schwester. »Ich habe eine Punktierung für Sie.«
Da erst rührte sich Jonathan; Mickey räusperte sich und sah auf ihre Uhr.
»Ich komme sofort, Judy, danke.«
An der Tür drehte sie sich um. »Vielen Dank für das Picknick. Es war schön.«
»Haben Sie Samstag abend Zeit?«
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Sie schüttelte den Kopf. »Da habe ich Dienst. –«
»Und wann sind Sie außer Dienst?«
»Wenn ich Notdienst habe.«
»Und die restliche Zeit?«
»Schlafe ich.«
Jonathan seufzte. Jeder anderen hätte er eine schlagfertige Erwiderung gegeben – etwa, ›dann schlaf ich eben
mit
Ihnen‹. Aber nicht Mickey Long. Sie war etwas Besonderes.
»Ich muß sehr viel arbeiten. Es tut mir leid. Sechsunddreißig Stunden Dienst, dann achtzehn Stunden frei. Nebenher hab ich Seminare und muß viel lesen.«
»Ein totgeborenes Kind, unsere angehende Freundschaft, scheint mir.«
»Ja, so sieht es aus.«
»Können Sie sich nicht Zeit
nehmen
? Ein wenig nur.«
Sie warf ihm einen letzten Blick zu, ehe sie die Tür öffnete. »Ich werd’s versuchen.«
12
Ruth lief wieder ein Rennen. Aber diesmal ging es nicht um einen Malkasten und nicht um gute Noten.
Diesmal ging es um ein Kind.
Sie saß in der Wärme der Oktobersonne, die durch die großen Fenster fiel, in einem Sessel in der Encinitas Hall. Auf dem Schoß hatte sie einen Kalender, Block und Bleistift. Sie versuchte, Mondzyklen und Daten zu errechnen, als weibliche Stimmen sie ablenkten. Ruth hob den Kopf und musterte die Gruppe von Studienanfängerinnen, die sich um den großen Kamin versammelte, und fragte sich, woher dieser neue Typ von Medizinstudentinnen gekommen
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