Herzflimmern
vergangen, seit sie sich Silvester 1969 begegnet waren, und in dieser Zeit hatten sie genau zweimal ernsthaft über Heirat gesprochen. Beide Male hatte Arnie das Thema angeschnitten, beide Male hatte Ruth der Diskussion sehr schnell ein Ende gemacht. Wo sie denn dann wohnen sollten, hatte sie gefragt, da er doch jeden Tag nach Encino in die Firma müßte und sie nach Palos Verdes aufs College? Außerdem, erklärte sie mit unwiderlegbarer Logik, würden sie sich, wenn sie heiraten sollten, auch nicht häufiger sehen können.
Sie hatten sich schließlich darauf geeinigt, daß es das Vernünftigste wäre, im Juni zu heiraten, gleich nach Ruths Examen. Dann blieb ihnen für den Umzug nach Seattle, wo Ruth am i. Juli ihre Assistentenstelle antreten wollte, fast noch ein ganzer Monat Zeit.
Ruth war klar, daß Arnie kaum einsehen würde, warum sie nun plötzlich doch schon im Oktober heiraten sollten. »Wir haben drei Jahre gewartet, Ruth«, würde er sagen, »da können wir es die letzten sechs Monate auch noch aushalten. Ich möchte nicht in den ersten Ehemonaten von meiner Frau getrennt leben.« Sie mußte sich also genau überlegen, wie sie Arnie dazu überreden konnte, auf ihren Plan einzugehen, schon jetzt zu heiraten und dann noch bis zu den Abschlußexamen getrennt zu leben.
{101}
Ruth fühlte eine tiefe Zuneigung zu Arnie Roth. Seine Weichheit, seine ruhige Sanftmut waren Balsam für sie. Er war der ruhende Pol in ihrem hektischen, von Ehrgeiz getriebenen Leben, bei ihm fand sie die Stabilität und Ausgeglichenheit, die ihr selber fehlte. Sie hatte ihn einmal gefragt, wie er ihre Verbissenheit, ihre Stimmungsschwankungen, die Tatsache, daß sie das Studium über ihre Beziehung stellte, überhaupt aushalten könne, und er hatte ganz ruhig gesagt: »Wenn man die Beste sein will, muß man eben eine Menge Opfer bringen. Und man muß kämpfen. Aber irgendwann wird es ja vorbei sein, Ruth. Dann können wir beide gemeinsam unser Leben genießen. Darauf freue ich mich und deshalb halte ich es jetzt aus.«
Es war der Traum vom idealen Leben, den sie teilten. Ruth würde ihren Doktor machen, sie würden sich in Seattle ein Haus kaufen, dann drei Jahre an einem Krankenhaus und danach die eigene Praxis für Geburtshilfe. Und wenn sie finanziell Boden unter den Füßen hatten, würden sie eine Familie gründen. Arnie hatte recht; die Zukunft war die Mühe wert.
Aber nun sah plötzlich alles ganz anders aus.
Als Ruth im Sommer für die Ferien nach Hause geflogen war, war sie vierte ihres Jahrgangs gewesen – vierte unter neunundsiebzig Studenten. Nun endlich würde auch ihr Vater zugeben müssen, daß sie fähig war, daß sie seiner Liebe wert war. Er hatte es tatsächlich zugegeben, zu ihrer Verwunderung.
»Du hast es geschafft, Ruthie«, hatte er gesagt. »Ich muß sagen, ich bin platt. Ich glaubte, wenn du es überhaupt schaffen würdest, dann mit Müh’ und Not. Aber du bist vierte deines Jahrgangs, das ist wirklich beeindruckend.«
Ruth glühte vor Stolz. Nicht einmal Joshua hatte es in West Point so weit gebracht.
»Aber …«
Ruth hörte wieder die Worte ihres Vaters, während sie durch das Fenster der Encinitas Hall starrte. Sie sah sein Gesicht vor sich, das einen Ausdruck der Bekümmerung angenommen hatte, hörte die Stimme, die plötzlich beinahe vorwurfsvoll wurde.
»Aber was für einen Preis hast du dafür bezahlt, Kind? Ist das die Sache wirklich wert? Bis du fertig bist und deine eigene Praxis hast, wirst du dreißig sein. Das ist spät für Kinder. Du hast deine Weiblichkeit der Karriere geopfert. Du wirst dein Frausein niemals ausleben können. Glaubst du nicht, daß das ein unnatürliches Leben ist, das du dir da ausgesucht hast?«
{102}
Zwei Wochen vor Semesteranfang flog Ruth nach Kalifornien zurück und suchte bei Arnie Zuflucht. Seine Liebe und sein Verständnis halfen ihr über ihren Schmerz und ihre Bitterkeit hinweg. Jetzt hatte sie nur noch einen Gedanken – ihrem Vater zu beweisen, daß er sich getäuscht hatte.
Als die große Flügeltür am anderen Ende des Raumes sich öffnete, blickte Ruth auf. Sondra kam herein, winkte ihr zu, ging zu einem der Automaten, um sich eine Tafel Schokolade zu holen, und schlenderte dann zu Ruth hinüber.
»Wie läuft’s?« fragte sie und warf einen Blick auf die Frauengruppe beim offenen Kamin.
»Ich hab’s mir genau ausgerechnet«, sagte Ruth und zeigte Sondra ihre Aufzeichnungen.
Sondra sah auf das Blatt und nickte. Sie hielt es für einen
Weitere Kostenlose Bücher