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Herzflimmern

Herzflimmern

Titel: Herzflimmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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Mickey um und ging.
     
    Sie lehnte am offenen Fenster des Ärztezimmers und sah zu, wie der Himmel langsam dunkel wurde. Ihr Gesicht war weiß, die grünen Augen brannten vor Zorn. Sie konnte Gregg nicht verzeihen, was er getan hatte. Er hatte kein Recht dazu gehabt. Er hatte sie verraten. Nun gab es für sie beide keine Möglichkeit mehr, weiter zusammenzuleben oder auch nur freundschaftlich miteinander zu verkehren. Und auch ihre berufliche Beziehung würde leiden, weil immer Argwohn und Mißtrauen dasein würden.
    Mickey spürte plötzlich, daß sie todmüde war. Die Beine taten ihr weh, und ihr Magen knurrte. Als sie auf die Uhr sah, wurde ihr bewußt, daß {165} sie abgesehen von der halbstündigen Mittagspause im Park seit fast vier- undzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen war.
    Am vergangenen Abend, als sie sich gerade mit Gregg zum Essen gesetzt hatte, war sie auf die pädiatrische Station gerufen worfen, um einem Leukämiepatienten einen Katheter einzusetzen. Unmittelbar danach brauchte man sie in der Notaufnahme, wo eine Frau mit Verdacht auf eitrige Gallenblasenentzündung eingeliefert worden war. Nachdem Mickey sie untersucht und auf die Chirurgie überwiesen hatte, mußte sie wieder in die Pädiatrie, weil sich am Katheter eine Infiltration entwickelt hatte. Sie hatte die halbe Nacht gebraucht, um einen neuen zu legen, während zwei Schwestern das völlig hysterische Kind gehalten hatten. Gegen Morgen war bei einer Frischoperierten die Operationswunde aufgebrochen und hatte neu genäht werden müssen. Danach hatte Mickey es geschafft, zu duschen und eine Tasse Kaffee zu trinken, und hatte gerade die morgendliche Runde begonnen, als sie wieder in die Notaufnahme gerufen worden war. Vierundzwanzig hektische Stunden praktisch ohne Pause; die halbe Stunde bei der Sonnenuhr hatte gerade gereicht, um einmal kurz Luft zu holen.
    Mickey ging vom Fenster weg und ließ sich auf das Sofa fallen. Sie war im Ärztezimmer auf Drei Ost, weil sie Notdienst hatte und in der Nähe eines Telefons sein mußte. Auf der Station warteten zweiunddreißig Patienten, die sie zu betreuen hatte: Verbände mußten nachgesehen, Fäden gezogen, Medikamente verschrieben oder abgesetzt werden. Zweiunddreißig Patienten mit Schmerzen und Ängsten und tausend Fragen; und alle erwarteten sie, daß Mickey heiter lächelnd in ihr Zimmer kommen und sie aufmuntern würde.
    Sie schlug die Hände vor ihr Gesicht. Sie konnte nicht. Sie konnte sie jetzt nicht sehen.
    Sie weinte lautlos in ihre Hände. Vom Korridor hinter der geschlossenen Tür kamen die alltäglichen Krankenhausgeräusche: das Wispern der Operationswagen, die vorbeigeschoben wurden, das leise Quietschen von Gummisohlen auf dem Linoleumboden, Stimmen, die im Näherkommen lauter wurden und dann wieder verklangen. Nur ein einziges Mal zuvor hatte sich Mickey einen solchen Zusammenbruch erlaubt, ihrer Erschöpfung nachgegeben und sich richtig ausgeweint; aber selbst damals war sie innerlich ständig auf dem Sprung gewesen, aus Sorge, es könnte jemand ins Zimmer kommen und sie ertappen. Jetzt war sie soweit, daß ihr alles gleichgültig war. Sie wollte nur weinen bis sie keine Tränen mehr hatte und dann eine ganze Woche lang schlafen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und zur Tür hinausgerannt, fort aus diesen Gefängnismauern, {166} fort von den zweiunddreißig Patienten, die darauf warteten, daß sie sie erheitern und wieder gesundmachen würde, ohne daran zu denken, daß vielleicht auch sie dringend ein bißchen Fürsorge und Ermutigung gebraucht hätte.
    Mickey bekam plötzlich eine Riesenwut auf sie, auf ihre Krankheiten und ihre Erwartungen an sie. Sie haßte das Krankenhaus; sie haßte Gregg und Jay Sorensen und Sharla in der Notaufnahme. Wie halten die das nur aus? Wie halten sie es aus, Tag für Tag hierher zu kommen, in diesem künstlichen Licht zu leben, diese künstliche Luft zu atmen und serienweise in ihren Funktionen gestörte menschliche Körper zu reparieren wie Techniker an einem Endlosfließband? Wo blieb da die Erfüllung? Wo blieb die Würde?
    Und das noch einmal fünf Jahre lang!
    Mickeys Weinen wurde heftiger. Sie schluchzte ihr Elend jetzt laut heraus, und es war ihr immer noch gleichgültig, ob jemand sie hörte. Sollen sie es doch hören! Sollen sie doch merken, daß ich keine Maschine bin! So nämlich erschien es ihr – daß diese vergangenen sechzehn Monate im Great Victoria sie beinahe in eine hervorragend funktionierende, völlig

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