Herzflimmern
Die Ärmel des weißen Pullovers waren aufgerollt und zeigten ihre braunen Arme.
Zum erstenmal bemerkte Derry, was für ein weiches Profil Sondra hatte: eine hohe Stirn, leicht schrägstehende Augen und hohe Wangenknochen. Doch die Nase war klein und gerundet, ihr Mund war vollippig, das Kinn ausgeprägt. Sie war eine schöne Frau. Das hatte er von Anfang an gesehen. Doch jetzt sah er noch etwas anderes. Bisher war er dafür blind gewesen, aber jetzt, da er sie mit offenen Augen ansah, war es unübersehbar. Derry wußte endlich, warum Sondra Mallone nach Afrika gekommen war.
»Ich füttere ihn«, sagte er. »Und Sie legen sich jetzt hin.«
Sie sah ihn mit einem schwachen Lächeln an. »Ist das ein Befehl?«
»Ja, ein Befehl!«
Zur allgemeinen Freude und Verwunderung entwickelte sich alles sehr zufriedenstellend. Ouko nahm die intravenöse Lösung gut auf, und die Nahrungszufuhr über die Magensonde hatte geklappt. Jetzt, während langsam der Abend kam, schlief Ouko friedlich, frei von Krämpfen. Doch dies war nur der erste Tag.
Draußen auf dem Hof ging es lebhaft zu. Fast die Hälfte von Oukos Stamm, wie es schien, hatte vor dem Krankenhaus Posten bezogen – an die zwanzig Massai hockten auf der Erde und skandierten magische Ge {191} sänge. Zu gleicher Zeit hatte Pastor Sanders eine Gebetsgruppe auf der Vortreppe zum Krankenhaus um sich versammelt, die mit Inbrunst Gottes Segen auf Ouko herabflehte.
Diese Aktivitäten wurden von der Rückkehr der drei Safariwagen unterbrochen. Ein paar Minuten lang herrschte Chaos auf dem Hof. Derry rannte zu den Autos, teilte Alec in aller Eile mit, was geschehen war und nahm ihn sogleich mit ins Krankenhaus, wo Sondra einer der Schwestern gerade den Behandlungsplan für Ouko erklärte. Den beiden Männern folgte Rebecca, die Oberschwester.
»Er muß alle zwei Stunden umgedreht werden«, sagte Sondra und demonstrierte mit einer Geste, wie der Junge von einer Seite auf die andere gewälzt werden mußte. »Rückenmassagen sind sehr wichtig. Und Augenspülungen.« Sie hielt ein Fläschchen hoch. »Geben Sie ein paar Tropfen Mineralöl dazu.«
Sondra hielt inne, als sie Derry und Alec in den Saal kommen sah. Alecs Kleider waren staubbedeckt, sein Haar vom Wind zerzaust.
Als die Schwester Rebecca hereinkommen sah, wich sie vom Schreibtisch zurück wie ein Kind, das beim Naschen ertappt worden ist.
»Ich übernehme das jetzt,
memsabu
.« Rebeccas Stimme war kühl und hart.
Sondra wandte sich ihr zu. »Es ist wichtig, daß wir für den Jungen einen strengen Behandlungsplan aufstellen. Sein Zustand ist kritisch. Hier habe ich aufgeschrieben –« Sondra nahm das Blatt Papier, auf dem sie die einzelnen Punkte der Betreuung niedergeschrieben hatte.
Rebecca sah es gar nicht an. Mit ausdrucksloser Miene fixierte sie Sondra.
»Ich
übernehme das jetzt,
memsabu«
, sagte sie noch einmal mit Nachdruck.
»Kommen Sie!« Derry berührte Sondras Ellenbogen. »Sehen wir mal nach ihm.«
Sondra zögerte, den Blick unverwandt auf die feindselige Schwester gerichtet. Doch dann wandte sie sich ab und führte Derry und Alec zu Oukos Bett.
Nach einigen Minuten schweigender Beobachtung des Jungen schüttelte Alec den Kopf. »Ich persönlich hätte das gar nicht erst versucht. Wir können den Jungen doch nicht am Leben halten.«
»Er bekommt Sauerstoff«, sagte Sondra und deutete auf den Sauerstoffbehälter am Kopfende des Bettes.
Wieder schüttelte Alec den Kopf. »Das trocknet ihn doch nur aus.«
»Genau darum fliege ich jetzt nach Nairobi«, bemerkte Derry. »Ich habe nur auf eure Rückkehr gewartet.«
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»Sie fliegen jetzt?« fragte Sondra. »Aber es wird doch schon dunkel.«
Er lächelte flüchtig. »Ich habe Erfahrung. Machen Sie sich um mich mal keine Sorgen. Ich lasse das Krankenhaus in Ihrer Obhut, Alec. Sondra hat hier mehr als genug zu tun.«
Er blickte einen Moment lang auf die großen Hände des Massai, der in gleichmäßigem Rhythmus den Atembeutel drückte. Die Brust des Jungen hob sich bei der jeder Einblasung. Derry runzelte die Brauen. Ouko sah nicht gut aus. Er fragte sich, ob er überhaupt noch rechtzeitig aus Nairobi zurück sein würde.
Alec blieb am Bett des Jungen, während Sondra hastig ihr Abendessen hinunterschlang und dann duschte und sich umzog. Ouko mußte rund um die Uhr überwacht werden. Während Sondra sich das feuchte Haar kämmte, stellte sie sich vor, wie ein solcher Fall in Phoenix behandelt werden würde, dachte an all die Geräte und
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