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Herzgespinst - Thriller

Herzgespinst - Thriller

Titel: Herzgespinst - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Besitzer hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie auszuräumen. Er bearbeitete nur das Land. Selbst der alte Küchenschrank auf dem Heuboden stand immer noch an der gleichen Stelle.
    Julia kletterte die Leiter hinauf. Es war so, als wäre keine Zeit vergangen.
    Nach dem Unfall war sie nie wieder hier gewesen.
    Ganz hinten im Heu fand sie ihre Blechkiste. Julia nahm den kleinen Schlüssel von ihrer Halskette und schloss sie auf. Ganz oben lag der Handspiegel mit dem verschnörkelten goldenen Rahmen. Darunter klemmte eine einzelne Spielkarte aus einem Kinderquartett, es war ein feuerroter Pontiac Firebird.
    Den Spiegel hatte ihr Vater früher ihren Schneewittchenspiegel genannt. Vielleicht, weil ihre Haare so lang und schwarz waren.
    Wenn Julia damals hineinsah, bildete sie sich ein, tatsächlich Schneewittchen zu sein. Und sie fragte sich, ob sie sich jemals so in jemanden verlieben könnte, wie Schneewittchen es getan hatte.
    Mittlerweile waren ihre Haare kurz. Und als sie den Spiegel in die Hand nahm, sah sie darin sich. Sie zählte genau drei Sommersprossen auf ihrer Nasenspitze. Ansonsten war ihre Haut trotz des heißen Sommers weiß wie Schnee.
    »Julia? Bist du da?«
    Sie warf den Spiegel hastig zurück und warf den Deckel zu, ohne abzuschließen. Eilig schob sie die Blechkiste unter den nächsten Heuballen und robbte nach vorne an die Leiter.
    Die Sprossen knarrten. Momente später schaute sie in Olivers erstauntes Gesicht.
    »Hier bist du! Gib Acht. In dem alten Heu sind bestimmt jede Menge Flöhe.«
    Er hievte sich neben sie und sah durch die Fensterluke hinaus auf die Felder.
    Von hier hatte man einen optimalen Blick in die Landschaft. Man konnte alles sehen, ohne gesehen zu werden.
    »Das gibt dieses Jahr eine super Ernte, wenn die Bauern mit dem Bewässern hinterher kommen.« Er sah verschwitzt aus und auf seiner Stirn zeichnete sich die Kante seines Fahrradhelms ab.
    »Ich hätte es fast nicht gefunden, so lange war ich nicht mehr hier.« Er streckte sich auf dem Boden aus und schloss die Augen. »Ich bin total fertig. Ich hab bis um vier Uhr morgens gekellnert.«
    Julia schaute Oliver nachdenklich an.
    Sein Gesicht sah in der letzten Zeit oft müde aus, er arbeitete zu viel. Dabei war die Schule momentan ziemlicher Stress. Obwohl er ein Jahr älter war als sie, besuchte er mit ihr gemeinsam die gleiche Jahrgangsstufe der Gesamtschule. Nach dem Unfall damals hatte er eine Weile geschwänzt und jede Menge Stoff verpasst.
    Julia fand es toll, dass er danach in ihre Klasse kam. Sie waren ohnehin wie Geschwister aufgewachsen. Egal um welche Sache es ging, sie verstanden sich blind, was die anderen häufig zur Weißglut brachte.
    In ein paar Monaten wurde Oliver achtzehn. Aber nicht nur das ließ ihn auf einmal deutlich erwachsener wirken. Julia konnte nicht wirklich sagen, was ihn verändert hatte. Aber irgendetwas war geschehen. Im Gegensatz zu ihr waren seine Haare hellblond. Aber beide hatten sie dieselben veilchenblauen Augen.
    Das war wie ein geheimes gemeinsames Merkmal zwischen ihnen.
    Eine Übereinkunft, die sie für immer miteinander verband.
    Julia hatte sich oft gewünscht, dass Oliver auch in Wirklichkeit ihr Bruder war. Aber leider war sein Vater nur ein finnischer Student gewesen, der kurz mit seiner Mutter zusammen war, als diese ein Jahr als Aupair in Helsinki verbrachte. Als sie herausfand, dass sie schwanger war, verschwand er auf Nimmerwiedersehen.
    Sie weigerte sich immer hartnäckig, Oliver etwas über seinen Vater zu erzählen. Nicht einmal seinen Namen verriet sie. Vielleicht war das der Grund gewesen, warum Oliver seine Zeit lieber bei Julia und ihren Eltern auf dem Hof verbrachte, als bei sich zu Hause. Besonders Julias Vater verstand sich prima mit ihm und nahm ihn so oft wie möglich mit auf den Mähdrescher.
    Er hatte sich immer einen Sohn gewünscht.
    »Oliver!« Sie rüttelte ihn sanft. Er trug ein schwarzes T-Shirt ohne Ärmel und sie spürte seine Muskeln.
    Verschlafen öffnete er die Augen. Wenn er müde war, leuchteten sie besonders blau.
    »Oliver«, wiederholte sie. »Wollen wir loslegen?« Sie lächelte ihn an.
    Immer wenn sie in seiner Nähe war, fühlte sie sich ruhig. Seit dem Tod ihres Vaters kam das nicht mehr häufig vor.
    Oliver setzte sich auf und sah sie prüfend an.
    »Bist du dir sicher, dass du das wirklich willst?«
    Julia nickte entschieden. »Ganz sicher.«
    Oliver kaute zweifelnd auf seiner Unterlippe. »Aber du weißt, dass du es nicht mehr rückgängig

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