Herzgesteuert: Roman (German Edition)
…? Und gehören weggesperrt? Ist es das , was du denkst?«
»Quatsch, du weißt genau, dass ich nicht so ein Spießer bin …«
»Aber du redest wie ein Spießer.« Georg dreht sich weg, scheint seine Gesichtszüge unter Kontrolle bringen zu müssen, dann schaut er mich fordernd an: »Warum bist du überhaupt hier?«
»Weil ich mir Sorgen um dich mache, du Idiot! Bist du eigentlich taub? Aber im Gegensatz zu dir habe ich einen Beruf, die Amerikaner stehen schon vor der Tür, ich muss bis Weihnachten mindestens zwanzig Luxusvillen aus dem Boden stampfen, ich weiß gar nicht, wo mir der Kopf steht …«
»Vielen Dank, Frau Immobilienmaklerin!«
»Ja, eine Luxusimmobilie ist das hier nicht!«
Wir fallen uns förmlich gegenseitig ins Wort. Unsere schwitzigen Finger hinterlassen Spuren an dieser verdammten Scheibe, die so aufgeladen ist mit Spannungen und Missverständnissen, dass ich sie am liebsten in tausend Stücke schlagen würde!
Wie viele Streitereien und hässliche Wortwechsel diese Scheibe wohl schon stillschweigend erduldet hat? Und vielleicht ist hier auch schon so manche Liebeserklärung durchgegangen und so manch tröstendes Wort: »Ich hab dich lieb, bis zum nächsten Mal.« – »Halte durch, ich bin bei dir.«
»Noch drei Minuten«, verkündet Joachim Tacke bedauernd. »Bitte zum Ende kommen!«
Hilflos raufe ich mir die Haare und versuche mich zu konzentrieren.
»Georg. Sag mir bitte , was ich für dich tun kann!«
Er schaut mich sekundenlang ausdruckslos an. Schließlich sagt er: »Hol mich hier raus.«
Ich packe das Tempotaschentuch weg und sage, um Haltung bemüht: »Georg, das wird so schnell nicht gehen.«
»Aber du wirst mich doch nicht im Stich lassen?« Er bohrt seinen Blick förmlich in meinen. Ich will meine Augen abwenden, bringe es aber nicht fertig.
»Du bist in meinem Herzen«, höre ich mich antworten. »Und in Fannys auch.« Meine Güte, was hab ich denn jetzt gesagt. Aber es stimmt ja.
30
O Gott. Was mache ich? Was mache ich nur? Jetzt stehe ich wieder auf der Straße und habe keine Ahnung, wie ich Georg helfen soll.
Aber jetzt nach Hause gehen, das ist … unterlassene Hilfeleistung! Ich muss was tun! Und zwar jetzt ! Nicht morgen, wenn die Büros wieder geöffnet haben! Heute! Sofort! In diesem Moment!
Wenn mein Kind da drin wäre. Dann würde ich doch auch nicht nach Hause gehen, nur weil Sonntag ist.
Überleg, Frau. Überleg. Du hast dich doch noch nie einfach wegschicken lassen. Die Besuchszeit ist vorbei, na und? Für die anderen vielleicht, aber nicht für dich. Du bist eine intelligente, sprachgewandte Frau. Du bist nicht auf der Nudelsuppe dahergeschwommen. Du hast Grips in der Birne. Und irgendwo hast du auch ein Herz in der Brust. Du bist schon mit ganz anderen Situationen fertig geworden.
Meine Gedanken rasen. Welche rechtlichen Möglichkeiten habe ich? Keine.
Das werden wir ja sehen.
Mit einem Ruck finde ich in die Realität zurück.
Entschlossen wende ich mich dem Eingang zu und steige die ausgetretenen Stiegen durch das düstere Treppenhaus erneut hinauf. Innerlich balle ich die Fäuste. Und wenn ich mich hier ankette und in Hungerstreik trete. Und wenn ich die Presse und das Fernsehen bestelle. Und wenn ich …
»Bitte, Sie wünschen? Ihre Besuchszeit ist vorbei!«
»Ich möchte zur Gefängnisdirektion.« Es gelingt mir, dies einigermaßen höflich zu sagen, aber meine Stimme ist eisig. Mein Gesichtsausdruck ist eindeutig. »Jetzt!«
Zu meinem Erstaunen lässt man mich diesmal sofort hinein. Der Wachhabende am Eingang drückt auf den Summer, die Glastür öffnet sich. Mein Jungbauer ist so schnell zur Stelle, dass man meinen könnte, er hätte nur auf mich gewartet.
»Frau Verdugo-Althöfer, die Direktorin erwartet Sie.« Ich überspiele meine Überraschung so gut ich kann.
Na bitte, denke ich. Geht doch. Ich muss nur entschlossen genug auftreten.
Joachim Tacke schreitet mit ernster Miene vor mir durch die kahlen Gänge. Diesmal will er nicht plaudern. Er scheint zu spüren, wie ernst es mir ist. Oder hat man unser Gespräch abgehört? Das würde bedeuten …
Rasselnd und klappernd schließt er Türen auf und hinter uns wieder zu.
Am Ende eines langen, düsteren Ganges klopft mein Jungbauer an eine Tür, und eine weibliche Stimme ruft freundlich: »Herein!«
So. Da stehe ich. Im Büro der Direktorin.
Sie ist groß und sehr schlank, etwa Ende vierzig. Ihre Uniform lässt sie hager wirken, sie trägt eine schwarze Krawatte zu einem
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