Herzgesteuert: Roman (German Edition)
absolut überzeugt! Ich verbürge mich für ihn, mit meinem guten Namen …« Ach, was fasele ich denn da! »Aber eines sage ich Ihnen: Wenn dieser Mann noch tiefer in den Abgrund gerissen wird, kommt er wirklich nie wieder da raus!«
Frau Verdugo-Althöfer schaut mir direkt in die Augen. In ihrem Blick ist so etwas wie … Bewunderung zu lesen. Oder wenigstens Zustimmung. Irgendwie habe ich sie mit meinem Plädoyer beeindruckt. Sie erhebt sich und sieht auf die Uhr. »Sie haben recht. Und Sie haben Glück. In diesem Moment werden zwei Häftlinge entlassen. Da wird eine ganze Zweierzelle frei.«
»Das heißt, Sie werden …« Ich kann es gar nicht fassen.
Sie greift schon zum Hörer. »Inspektor Mayr? Den Neuzugang bitte sofort in die 43. Und zwar allein!«
»Das ist … das ist wirklich … ich danke Ihnen«, stoße ich erleichtert hervor.
Ich will sie umarmen. Sollte es wirklich etwas genützt haben, dass ich nicht gleichgültig nach Hause gegangen bin?
Es klopft, und ein Wärter steckt den Kopf zur Tür herein: »Der Piotr will sich unbedingt noch persönlich von Ihnen verabschieden!«
Frau Verdugo-Althöfer lacht, steht auf, und in diesem Moment kommt ein Hüne zur Tür herein. Er muss den Kopf einziehen, um nicht am Türrahmen anzustoßen. Der Häftling grinst über das ganze vernarbte Gesicht, entblößt ein paar Goldzähne und umarmt die Gefängnisdirektorin, dass man Angst hat, er zerquetscht sie gleich.
»Danke für die gute Behandlung«, stößt der Riese hervor. »Sie sind eine wundervolle Frau, und ich freue mich auf das nächste Mal.«
Sie lacht, befreit sich aus seiner Umarmung und schaut verschmitzt zu ihm auf. »Versuchen Sie es doch mal mit einem normalen Leben!«
»Nein, das habe ich nicht gelernt!«
Er winkt, wirft ihr noch eine Kusshand zu und geht dann, umringt von vier Aufsehern, dem Ausgang zu.
»Schauen Sie mal!« Die Direktorin dirigiert mich an das vergitterte Fenster ihres Büros, schiebt die Gardine zur Seite und lässt mich zusehen, wie unten im Hof das eiserne Tor aufgeschoben wird. Piotr verabschiedet sich von den Wärtern, und sie hauen ihm auf die Schulter, wie einem guten Kumpel. Die Eisentür schließt sich hinter ihm, und der Hüne schlendert die Straße hinunter.
»Das ist ein Berufskrimineller«, sagt Frau Verdugo-Althöfer, während sie ihm lächelnd winkt. »Der ist im Krieg in Bosnien aufgewachsen, hat keine Familie und nichts anderes erlebt als Gewalt, Mord und Totschlag. Der kommt bald wieder.« Sie winkt noch einmal, lässt dann die Gardine fallen und sagt schulterzuckend: »Hier bei uns fühlt er sich einfach am wohlsten. Wir geben ihm Arbeit, drei Mahlzeiten am Tag, ein Bett, einen geregelten Tagesablauf und ein paar Freiheiten. Er darf ins Fitness-Studio, fernsehen und sonntags, wenn er will, in die Kapelle.«
Nicht zu fassen.
Noch nie habe ich so eine spontane Sympathie für eine fremde Frau verspürt. Aber diese hier hat Organisationstalent, Verstand, Erfahrung und Herz. Sie ist am richtigen Ort.
31
S o. Jetzt wird gehandelt. Als Nächstes nehme ich mir diesen Mathematik- und Klassenlehrer zur Brust. Bevor auch nur ein Anwalt in dieser Stadt seine Pforten öffnet, möchte ich zuerst mit Rottweiler sprechen. Vielleicht kann er mir irgendetwas Aufschlussreiches zum Thema Vicki sagen. Wenn ich den mit im Boot habe, wird so manches leichter sein. Dann kommen wir vielleicht auch an die Mutter ran.
Gleich am nächsten Morgen habe ich bereits um halb acht einen Termin. Ich habe den Mann am Sonntagabend noch so lange mit Anrufen bombardiert, bis er eingewilligt hat, mich noch vor der ersten Schulstunde zu treffen.
Fanny fürchtet sich schrecklich davor, in ihrer Klasse als Verräterin zu gelten, und ich habe den restlichen Sonntagnachmittag damit verbracht, ihr zu erklären, dass man im Leben Prioritäten setzen muss. Auch ich überlasse meine Immobilienangelegenheiten, wenn auch schweren Herzens, vorübergehend Stefan Stör.
Der reibt sich die Hände, geht es doch bei den Amerikanern um Provisionen, von denen wir alle nur träumen können!
Aber Georg geht vor. Ich kann ihm nur helfen, wenn ich Fakten habe. Und da ist mein voller Einsatz gefragt.
Herr Rottmeier empfängt mich in einem ähnlich schmucklosen Kämmerlein, wie es das Gefängnis für Besucher bereithält. Die Wände dieser Zelle sind lila gestrichen, und an der Tür hängt eine Aufforderung, das winzige Fenster wegen der wiederholten Einbrüche in der Schule immer geschlossen zu halten.
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