Herzgesteuert: Roman (German Edition)
meiner Kenntnis«, sagt Karsten gespielt gleichgültig. Klirrend stellt er die Tasse ab. Gewichtig stemmt er sich aus seinem Sessel, wobei ihm über dem Bauch fast ein Knopf abspringt. »Ich muss jetzt zu meiner Familie. War nett, dich zu sehen, Juliane. Und ein kleiner Tipp noch von deinem ehemaligen Chef: Ein bisschen mehr Diskretion wäre angesagt.«
Mit allergrößter Beherrschung gelingt es mir, ihm nicht die Kaffeekanne in seinen feisten Nacken zu schleudern.
Als ich am nächsten Morgen durch den Park jogge, traue ich meinen Augen nicht: Da sitzt der Penner seelenruhig auf der Bank, liest die FAZ, und neben ihm steht sein überladener Einkaufswagen, aus dem leise Bruckner tönt! Na, der hat Nerven. Ich schnaufe vor Wut und fasse es nicht!
Soll ich jetzt zu ihm hinrennen und ihn zur Rede stellen?
Hören Sie mal. Das war aber nicht abgemacht, dass Sie in der Villa pennen!
Völlig sprachlos wanke ich zu ihm hin. Was soll ich nur sagen?
Hallo! Da sind Sie ja wieder! In Urlaub gewesen? Wie war’s denn so?
Da mein Schatten auf ihn fällt, lässt er die Zeitung sinken.
Anscheinend erkennt er mich nicht, ich sehe ja auch etwas anders aus als vor ein paar Wochen im Bad. Er blinzelt gegen die Sonne.
»Ich bin’s«, sage ich eisig anstelle einer Begrüßung. »Ich habe Sie vermisst.«
Bitte? Was rede ich denn da?!
Ich habe ihn natürlich kein bisschen vermisst. Ich war froh, dass die Landplage von meiner Lieblingsbank verschwunden war. Und bis zu der gestrigen Geschichte von Karsten hatte ich auch gar nicht mehr an ihn gedacht.
»Das freut mich«, sagt der Penner freundlich. »Ich musste auch oft an Sie denken.« Ich spüre, wie ich knallrot anlaufe.
So war das nicht gemeint!
Mühsam ringe ich um Fassung. Der Kerl scheint keinerlei Ironie zu verstehen!
»Ich meine, wir waren verabredet. Erinnern Sie sich? Ich habe noch Klamotten von Ihnen.«
»Das ist mir sehr unangenehm«, antwortet er verbindlich. »Aber ich war kurzfristig verreist.« Meine Gesichtsfarbe ändert sich von Rot auf Dunkelrot. Hallo? Geht’s noch?
Spinnt der? Ich meine, der muss doch annehmen, dass ich weiß, wo er war! Für wie blöd hält der mich eigentlich?
»So«, sage ich mit leicht überschnappender Stimme. »Verreist. Beruflich oder privat?«
»Privat«, antwortet er schlicht. »Rein privat.«
»Und?«, frage ich mit schneidendem Unterton. »War’s schön?« Der Zynismus peitscht ihm doch um die Ohren! Er muss meine Wut doch bemerken !
»Ja«, sagt er. »Sehr. Sehr schön. Angenehmes Ambiente.«
Will der mich verarschen? Das ist doch der Gipfel der Unverschämtheit!
»Sie waren nicht zufällig in der Villa am Sonnenhang?« Ich trete von einem Bein auf das andere, das Wutpipi nur mühsam zurückhaltend.
»Doch«, antwortet er ganz selbstverständlich, »genau da war ich. In der Villa am Sonnenhang. Die stand ja leer.«
Sprachlos starre ich ihn an. Der hat überhaupt kein Unrechtsbewusstsein!
»Es ist ein wunderschönes großes altes Herrenhaus mit vielen Fenstern, herrliche tirolerische Architektur, und dabei topmodern eingerichtet, ohne ungemütlich zu sein. Es hat ja einem berühmten Dirigenten gehört, beziehungsweise seiner Witwe. Ein wirklich wunderschönes Objekt für Naturliebhaber, die die ruhige Lage zu schätzen wissen.«
Hallo? Ist das nicht mein Text?
»Besonders die großartige Akustik im Kaminzimmer hat mich begeistert«, schwärmt er weiter. »Ich liebe ja klassische Musik, und es waren so viele herrliche CDs mit Symphonien und Opern vorhanden, dass ich gar nicht wusste, was ich zuerst hören sollte.« Er sieht mich mit seinen braunen Augen begeistert an. »Ich hatte lange nicht mehr eine so schöne, ungestörte Zeit.«
Ich fasse es nicht. Bin ich ein Reisebüro oder was?
»Und haben Sie die Sauna ausprobiert?«, frage ich spöttisch.
»Ja. Eine sehr schöne Sauna. Aber das Dampfbad gefiel mir noch besser.«
»Sind Sie auch …« – ich beiße mir auf die Lippen, um die richtigen Worte zu wählen – »… im Pool geschwommen?« Ich spüre, wie ich mich allmählich dunkelviolett verfärbe. Schließlich haben wir uns nackt gesehen.
»Ja, aber nur draußen. Drinnen nicht. Ich wollte nichts nass machen, es war alles so schön geputzt.«
Nicht doch. Ich hätte doch meine Putzfrau vorbeigeschickt!
Ich versuche mich zusammenzureißen und ihn nicht anzubrüllen. Wie bizarr unser Dialog ist! Zumal er überhaupt nicht zu begreifen scheint, dass ich ihn am liebsten mit einem gezielten Schlag zwischen die
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