Herzgesteuert: Roman (German Edition)
ist das wahre Grauen.
Aber die Mütze!? Woher kenne ich diese graue, grob gestrickte Mütze?!
Der Opa mit dem Hut, den ich vorhin so arrogant beiseitegescheucht habe, hupt wie verrückt und zeigt mir seinerseits einen Vogel. Ich kneife die Augen zusammen und bin vor Schreck wie gelähmt. Ich muss aus diesem Tunnel kommen! Ich muss lebend aus diesem Tunnel kommen !
Hilfe! Ich möchte schreien, kann aber nicht. Ich werde entführt! Bewaffneter Raubüberfall! Meine Antiquitäten und Teppiche! Ich grenzenlos naives Weib lasse diese Kostbarkeiten über Nacht im Auto!
Schon spüre ich das kühle Metall einer Waffe im Genick, und eine behandschuhte Männerhand schiebt sich über meinen Mund.
Lieber Gott, das ist das Ende. Zwischen diesen dunklen, nassen Tunnelwänden werde ich also mein Grab finden.
Ich warte darauf, dass mein Leben in Sekundenschnelle an mir vorbeizieht, aber es denkt gar nicht daran.
Grausam wird mir bewusst, in was für einer tödlichen Falle ich stecke.
Der grässliche Kerl wird mich in irgendeine Schlucht verschleppen, fesseln, knebeln, bei lebendigem Leibe verscharren und dann mit meinem Mercedes-Bus samt wertvollem Inhalt über die Grenze flüchten!
Ich schreie und versuche, die Hand aus meinem Gesicht zu schieben.
»Hilfe!«, brülle ich um mein Leben und versuche, dem Opa mit dem Vöcklabrucker Kennzeichen ein Zeichen zu geben. »Hilfe! Überfall! «
»Psst, ganz ruhig«, höre ich eine heisere Männerstimme dicht an meinem Ohr. Ich spüre den Atem des Kerls heiß im Nacken, während meine Halsschlagader pulsiert, als würde sie jeden Moment platzen.
»Nicht doch, nicht schreien!«, beschwört mich der unheimliche Mann, aber ich schreie so laut ich kann !
»Ruhig, gaaaanz ruhig«, höre ich ihn erschrocken murmeln, und das Gefühl, auf der Stelle sterben zu müssen, verlässt mich kurz.
Irgendwie gelingt es der Männerhand, die jetzt meinen Mund losgelassen hat, den Wagen heil durch den Tunnel zu lenken. Meine Füße bremsen so heftig, dass er genau in dem Stück vor dem nächsten Tunnel schlingernd auf dem Seitenstreifen zum Stehen kommt. Rechts und links von der Autobahn geht es mehrere Hundert Meter in die Tiefe. Ein Habicht fliegt erschrocken auf, der wahrscheinlich eben noch eine Maus gefrühstückt hat.
Der Opa mit dem Vöcklabrucker Kennzeichen fährt schadenfroh grinsend an mir vorbei und verschwindet im nächsten Tunnel. Der nickende Dackel auf seiner Konsole hinten scheint mir wissend mitzuteilen: »Tja, Mädel, das kommt vom Stinkefingerzeigen!«
Ich spüre meine Füße nicht mehr, sie hängen an meinen Beinen wie Fremdkörper. Ich kann mich noch nicht mal aus dem Wagen werfen und in die Schlucht stürzen, um dort in Ruhe zu sterben, ich kann keinen vernünftigen Entschluss fassen, und meine Reflexe stellen sich tot.
In der Erwartung, von hinten niedergeschlagen zu werden, bleibe ich wie betäubt sitzen. Wie ein nasser Sack hänge ich auf meinem Fahrersitz.
Okay, er wird mich jetzt erwürgen oder nach hinten zwischen die Teppiche schleifen, wo er vermutlich selbst bis gerade eben noch gelegen hat. Ich wäre jetzt wirklich gerne ohnmächtig, bevor ich das, was kommt, alles noch bei vollem Bewusstsein erleben muss.
Mit flatternden Wimpern warte ich auf mein letztes Sekündlein, doch nichts tut sich. Auch die kühle Waffe – oder was war das sonst? – ist aus meinem Genick verschwunden.
Doch die Stille im Wagen ist unheimlich. Ich kann mich jetzt unmöglich umdrehen und meinem Mörder in die Augen sehen. Da spüre ich seine Hand auf der Schulter und schreie schon wieder auf.
Draußen brausen die Autos vorbei, als wäre nichts geschehen. Irgendwann wird mir bewusst, dass der Mann von hinten leise auf mich einredet.
»Psst, gaaanz ruhig«, sagt er immer wieder, »einfach nur weiteratmen, gaaanz ruhig weiteratmen, ein und aus, ein und aus …«
Spinne ich, oder streichelt diese Hand mir etwa über den Hinterkopf?
Will dieser Psychopath mich etwa trösten, bevor er mich um bringt?
»Bitte beruhigen Sie sich«, redet er beschwörend auf mich ein. »Juliane, bitte, es ist alles gut. Alles ist gut, Juliane.«
Er kennt meinen Namen. Psychopathen studieren ihre Opfer genau, bevor sie sie in tausend Einzelteile zerhacken und dann am Rande der Autobahn in Plastiksäcken vergraben.
Plastiksäcke.
»Ich bins, Juliane, ich bins. Schauen Sie mich an!«
»Nein«, sage ich panisch. »Ich will Sie nicht ansehen.«
Obwohl mir irgendetwas dämmert, aber ich weiß noch nicht,
Weitere Kostenlose Bücher