Herzgesteuert: Roman (German Edition)
was.
»Es tut mir leid, Juliane, es tut mir sooo leid …«, murmelt der Mann direkt hinter meinem Kopf. »Ich wollte das nicht. Ich hätte das nicht tun dürfen …«
Was hätte er nicht tun dürfen? Mich entführen?
»Ich habe so fest geschlafen, ich bin einfach nicht rechtzeitig aufgewacht!«
Bitte? Ich bin wohl im falschen Film!
»Und dann sind Sie so wahnsinnig schnell gefahren, dass ich nicht mehr aussteigen konnte. Und irgendwann musste ich mich ja mal rühren, aber natürlich war es blöd, Sie ausgerechnet in dem langen Tunnel zu erschrecken.«
Diese Stimme kommt mir allerdings bekannt vor.
Langsam kann ich wieder einen klaren Gedanken fassen.
Welcher Triebtäter oder Mörder plaudert denn so ausführlich mit seinem Opfer?
Er hat … geschlafen? In meinem Auto?
Ganz vorsichtig drehe ich den Kopf. Millimeterweise, soweit er mir gehorcht.
»Aaah, jetzt haben Sie wieder etwas Farbe im Gesicht«, seufzt der Triebtäter erleichtert. »Ich habe mich ja genauso erschrocken wie Sie!«
Die Fingerspitzen in den abgeschnittenen Handschuhen streichen mir ununterbrochen über den Hinterkopf. Jetzt sind sie an meiner Wange angekommen. Die Röte schießt mir wie Feuer hinein.
Die Stimme. Ich kenne die Stimme. Die Hände kenne ich auch.
Ganz langsam sehe ich mich um.
»Ach du schöne Scheiße«, entfährt es mir. Einen Moment lang bin ich sprachlos. Jetzt, wo der erste Schreck vorüber ist, habe ich plötzlich das Gefühl, mich übergeben zu müssen.
Meine vage Ahnung wird zur Gewissheit. Es ist der Mann aus dem Park.
»Es tut mir leid, Juliane«, stammelt er, und ich schaue in große braune Augen in einem unrasierten Gesicht, das unter einer grauen Mütze hervorschaut.
Ein Tropfen hängt ihm an der Nase, und er wischt ihn sich mit einer verlegenen Geste mit dem Handrücken weg.
»Es tut mir so schrecklich leid. Wirklich, Juliane, das wollte ich nicht. Ich bin zu weit gegangen. Dabei waren Sie immer so nett zu mir.«
»Sie schon wieder!«, schreie ich, als ich endlich die Fassung halbwegs wiedergefunden habe. Vor lauter Erleichterung und Hilflosigkeit schießen mir die Tränen in die Augen, und ehe es mir bewusst wird, heule ich hemmungslos.
»Ja, sind Sie denn wahnsinnig, Mann ?!«
»Es tut mir so leid!«, stammelt er immer wieder. »Ich wollte Sie nicht erschrecken! Ich wollte wie immer früh um sieben aussteigen, aber Sie sind mir zuvorgekommen!«
Wie immer ? Ja spinnt denn der komplett!?
Was soll das denn heißen? Bin ich ein Wohnmobil oder ein Schlafwagen oder was? Möchte der Herr sich vielleicht noch ein bisschen frisch machen, bevor ich ihm den frisch gepressten Orangensaft und den Kaffee nach hinten reiche?
»Jetzt rufe ich aber die Polizei!«, brülle ich in ohnmächtiger Wut und greife in meine Handtasche, wo ich zitternd nach dem Handy wühle, als hätte ich Parkinson. Zu allem Überfluss haben wir hier in den Bergen nie und nimmer Empfang.
»Gaaanz ruhig«, sagt er, und während mir die Tränen nur so aus den Augen schießen, hält er mir etwas Weiches unter die Nase.
»Wäh! Was ist das?«
»Nur ein Taschentuch, ein Taschentuch!«
Ich schiele angewidert hinein und wische es brüsk zur Seite. »Vielen Dank. Aber dann schnäuze ich mich lieber in meinen Blusenkragen. Der ist sowieso schon hin.«
Schäumend vor Wut ziehe ich die Nase hoch. Schließlich wische ich mir wie er mit dem Handrücken über die Nase, und er zieht geistesgegenwärtig ein Feuchttuch aus dem Spender und reicht es mir.
»Danke.« Ich schnäuze hinein.
Hinter mir nähern sich schon die ganze Zeit lichthupend und blinkend die Autos und rasen wenige Zentimeter von meinem Fenster entfernt in den nächsten Tunnel hinein.
»Wir stehen hier wohl nicht ganz so gut«, meint mein blinder Passagier schließlich.
»Ach nein?«, keife ich gestresst, zerre zwei weitere Feuchttücher aus dem Spender und kühle mir damit die pochenden Schläfen. »Ich parke oft zwischen zwei Tunneln, um ein bisschen frische Luft zu schnappen!«
»Wenn Sie wollen, fahre ich durch den nächsten«, bietet der Penner eifrig an. »Ich bin ein guter Chauffeur!«
So sieht er auch aus. Nur seine Uniform hat er noch nicht an heute Morgen.
»Sie glauben doch nicht, dass ich Sie mit meinem Auto fahren lasse!« Verdammt, warum kann ich nur nicht mit dem Weinen aufhören? Ganze Sturzbäche laufen mir aus den Augen, und ich fürchte, ich tue mir selber leid.
Ich armes einsames Mägdelein. Immer nur Geld scheffeln, sich gegen sexuelle Belästigungen
Weitere Kostenlose Bücher