Herzgesteuert: Roman (German Edition)
der muss doch irgendwo ein Dach über dem Kopf gehabt haben, bevor er in mein Leben eindrang!
Was, wenn es Winter wird? Der kann doch nicht bei Eis und Schnee weiter auf seiner Parkbank hocken!
Je steiler es wird, desto wütender beschleunige ich meine Schritte.
Warum geht mir dieser Mann so nahe?
Irgendein fremder, aus dem Nichts aufgetauchter, gestrandeter Mensch, den mir das Schicksal immer wieder vor die Füße spült? Und von dem ich gerade mal den Vornamen weiß und sonst nichts!
Was tue ich denn da? Was, um Himmels willen, tue ich denn da?
Obwohl ich wirklich gern sofort nach Hause möchte, um endlich zu duschen und etwas zu essen, kurve ich mit dem Geldkoffer auf dem Beifahrersitz ein paarmal um den Bahnhof herum und bekomme Herzklopfen, wenn ich Georg zu entdecken glaube.
Ich bin ja bescheuert. Bescheuert herzgesteuert.
Ich weiß nicht, was ich will.
Weiß nicht, was ich tun soll.
So planlos war ich ja noch nie!
Wie heute Morgen fahre ich mindestens fünfmal sinnlos im Kreis herum.
Dabei könnte ich den Blinker setzen und auf die Hauptstraße nach Salzburg abbiegen! In einer Stunde könnte ich mitsamt dem Geldkoffer zu Hause sein!
Warum kann ich den Kerl nicht einfach seinem Schicksal überlassen?
Nein. Ich kann es einfach nicht.
Ärgerlich über mich selbst, steige ich schließlich mit wackeligen Beinen aus.
So. Klasse. Jetzt stehe ich in meinem Kostümchen in dieser Bahnhofsgegend und komme mir total deplatziert vor.
Soll ich den Koffer einfach im Auto lassen?
Ein paar finstere Gestalten, die sich hier gesenkten Blickes herumdrücken, machen mir die Entscheidung nicht gerade leicht. Durch mein scheinbar zielloses Im-Kreis-Fahren hat mein Mercedes-Bus schon genug Aufmerksamkeit erregt.
Nein, lieber nehme ich ihn mit. Dann sehe ich aus wie eine ganz normale Reisende. Ob der Bahnstreik schon beendet ist?
Mit wackeligen Beinen quäle ich mich die Stufen zur Unterführung hinab und folge dem beißenden Uringestank durch die dunklen, graffitibeschmierten Gänge, bis ich am letzten Bahnsteig angekommen bin. Dabei umklammere ich den Geldkoffer, dass mir die Hände wehtun.
Ich schleppe mich die Treppen wieder hoch.
Der Bahnsteig ist leer.
Okay. Georg ist weg.
Und das ist gut so.
Ich will gerade auf dem Absatz kehrtmachen, als ich jemanden entdecke.
Dort hinten, auf der allerletzten Bank, wo der Bahnsteig schon zu Ende ist, sitzt da Georg?
Die tief stehende Abendsonne blendet mich, und ich kneife die Augen zusammen. Ich nestele nach meiner Sonnenbrille und trippele nervös auf das männliche Wesen zu, das sich da auf der Bank breitgemacht hat.
Weit und breit sind keine anderen Fahrgäste zu sehen. Der Mann und ich sind die einzigen Menschen auf diesem Bahnsteig. Todesmutig trippele ich weiter auf ihn zu, der dunkelrot leuchtenden Abendsonne entgegen. Ich sehe nur seine Umrisse.
Wird er aufstehen und mir entgegenlaufen?
Und wenn ja, was sage ich dann?
Hallo, Georg, ich habe mich schon so nach dir gesehnt! Der Tag war so leer ohne dich! Ohne dich ist alles doof!
Bin ich noch ganz dicht?
Ich renne jetzt keinem Penner hinterher und frage ihn, ob ich ihn wieder mit nach Hause nehmen kann, oder? Das träume ich doch wohl nur!
Fünf Schritte von der Gestalt entfernt, erkenne ich, dass es nicht Georg ist. Es ist irgendein Kerl mit finsterem Blick. Er ist bullig, glatzköpfig, gepierct und tätowiert. In den Ohren hat er außer einer Menge Ohrringe auch noch Kopfhörer, aus denen dumpfe Rhythmen dröhnen.
Vor seiner Bank stehen ein paar Dosen Bier, und er glotzt mich aggressiv an.
Hilfe, wo treibe ich mich denn plötzlich rum ?
Ich war noch nie so durcheinander. Wenn ich jetzt weglaufe, rennt er mir womöglich hinterher. Ich komme mir vor wie auf einem Förderband, gehe immer noch geradeaus auf ihn zu und dann wie selbstverständlich an ihm vorbei, damit er bloß keinen Verdacht schöpft.
Was soll ich tun, hier am Ende des Bahnsteiges, im gleißenden Sonnenlicht?
Ich gebe vor, etwas Wichtiges vergessen zu haben, schaue schnell auf die Armbanduhr, schüttele über mich selbst den Kopf und mache auf dem Absatz kehrt. Dabei streife ich den Typen mit einem »Tu-mir-nichts-ich-tu-dir-auch-nichts«-Blick und bemühe mich um ein verkrampftes Lächeln.
»Was grinst du so dämlich, du blöde Kuh?«, pöbelt der Kerl mich an. »Hab ich was im Gesicht, was dir nicht passt?«
Oh, das fängt aber nicht gut an. Gar nicht gut.
»Ähm, ich grinse nur über mich selbst. Ich habe vergessen,
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