Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Herzgesteuert: Roman (German Edition)

Titel: Herzgesteuert: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hera Lind
Vom Netzwerk:
Geldkoffer vor meine Brust: »Alles okay.«
    Nichts ist okay. Plötzlich laufen mir die Tränen nur so über das Gesicht, große Tropfen landen auf meinem ohnehin schon durchweichten Kostümrock.
    Die Türen fallen zu, und der Zug fährt langsam ab.
    Jetzt sitze ich allein und frierend auf diesem hässlichen Bahnsteig und spüre die verächtlichen Blicke dieser Leute noch immer. Ich versuche, aufzustehen und die Treppe hinunterzugehen, aber es geht nicht. Wie gelähmt bleibe ich sitzen. Es ist so, als hätten sie mich geohrfeigt. Und wie ich für den besoffenen Kerl am Ende des Bahnsteigs beinahe zum Freiwild geworden bin!
    Noch nie hat mich jemand so ordinär beschimpft, und noch nie hat mich jemand so verächtlich angeschaut.
    So schnell kann es gehen, denke ich. So schnell.
    Da spüre ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter, und ich versteife mich. Ich kneife die Augen zu und stelle mich tot. Der Betrunkene hat sich von hinten angeschlichen! Ich bin so geschockt, dass ich nicht weiteratme. Er steht hinter mir. Ganz dicht. Er muss sich genähert haben, als der Zug so lärmte. Ich habe nichts bemerkt.
    Jetzt wird er mich erwürgen.
    In Todesangst greife ich mir an den Hals und lasse dabei die Tasche fallen.
    »Nicht erschrecken«, sagt eine Stimme ganz sanft hinter mir. »Bitte nicht schon wieder erschrecken, Juliane. Der Typ ist weg. Ganz ruhig, keine Angst, er tut Ihnen nichts mehr.«
    Die Hand streicht mir sanft über den Kopf.
    Ich zucke zusammen und wirble herum. Mein Herz macht einen ganz unvernünftigen Satz, entschlossen wische ich mir die Tränen ab.
    Und dann, völlig bescheuert herzgesteuert, springe ich auf und falle ihm um den Hals.

19
     
    W o haben Sie denn die ganze Zeit gesteckt?«, frage ich, als ich mich wieder im Griff habe, während ich neben ihm über den Bahnhofsvorplatz stöckele wie eine erzürnte Mutter, die ihren ungeratenen Sohn von der Klassenfahrt abholt. Ich bin völlig erschrocken über meinen Gefühlsausbruch eben und versuche mit allen Mitteln, den gebührlichen Abstand zwischen uns wieder herzustellen.
    »Ich habe mir Kitzbühel angesehen«, sagt Georg. »Die Bahn hat ja gestreikt. Da dachte ich, vielleicht laufen wir uns doch noch mal über den Weg. Und so war es ja auch.«
    Er grinst zufrieden.
    Der macht mich wahnsinnig.
    Ich ärgere mir ein Loch in den Bauch. Der Kerl hat sich einen schönen Tag gemacht, während ich ununterbrochen an ihn denken musste und mich seinetwegen in Lebensgefahr begeben habe!
    »Aha. Und warum sind Sie nicht in den einzigen Zug, der heute fuhr, eingestiegen?«, frage ich streng.
    »Weil ich Sie um Ihr Leben rennen sah. Da dachte ich, ich könnte Ihnen behilflich sein. Ich habe mich dem Mann in den Weg gestellt. Und währenddessen ist der Zug leider abgefahren.«
    Ich schnaufe. »Danke.«
    »Oh, gern. Keine Ursache. Es wäre natürlich interessant zu erfahren, warum Sie am Bahnhof waren. Sie haben mich nicht zufällig gesucht?«
    Er sieht mich von der Seite an, und ich denke gar nicht daran, seinen Blick zu erwidern. Stattdessen gehe ich zum Gegenangriff über.
    »Und Sie wollen nicht zufällig in der Tennisspielervilla übernachten?«, frage ich mit schneidender Stimme.
    »Es tut mir leid, dass Sie wegen mir immer so wütend werden.«
    »Und ich werde wütend, weil Sie mir immer so leidtun ! So wird ein Schuh draus!«
    Ich bleibe stehen und schaue ihn an, wie er da steht, mit seinem viel zu weiten Mantel und seiner Wollmütze auf dem Kopf. Er richtet seine braunen Augen auf mich: »Ich wollte Sie nicht belästigen. Ehrlich. Und Sie müssen zugeben, dass ich Ihnen nicht nachgelaufen bin.«
    Mir entfährt ein Schnauben. »Nein, ich bin ihnen nachgelaufen! Das ist ja das Schlimme!« Kopfschüttelnd laufe ich weiter, und er trabt neben mir her.
    Wir sind an meinem Auto angekommen.
    Die Sonne ist verschwunden, es wird ungemütlich frisch. Die Leute werfen befremdete Blicke auf uns, manche schütteln den Kopf.
    Ja, wir sehen beide völlig heruntergekommen aus, frieren und sind hungrig.
    So muss sich Georg ständig fühlen. Mit welcher Selbstherrlichkeit die Leute den Kopf schütteln! So als hätten sie das alleinige Anrecht auf bürgerliches Leben! Auf einmal fühle ich eine starke Zugehörigkeit zu Georg.
    Fast trotzig werfe ich den Kopf in den Nacken.
    Ich fröstele in meinem dünnen, durchnässten Kostüm, muss ganz dringend auf die Toilette, außerdem habe ich das Bedürfnis, mir die nassen Strümpfe und den klammen Rock auszuziehen und heiß zu

Weitere Kostenlose Bücher