Herzgesteuert: Roman (German Edition)
etwas verkrampft aus, insbesondere weil er mich eindringlich mustert.
Da sehe ich Georgs Gesicht vor mir.
Warum muss ich denn immerfort an den Penner denken?
Bin ich denn noch ganz dicht?
Weil ich nach ihm rieche ?
Oder weil ich mir ernsthaft Sorgen um ihn mache?
Jetzt könnte ich einmal einen Prinzen in der Hand haben, aber ich will lieber einen Bettler auf dem Dach.
Inzwischen ist es später Nachmittag. Der Prinz ist abgereist. Wir waren erst beim Notar und dann ziemlich lange auf der Bank. So eine Riesensumme Geld muss ja erst mal gezählt werden, und auch die diskrete Überweisung nach Monaco brauchte seine Zeit.
Schließlich überreichte der Prinz mir lächelnd den angekündigten Louis-Vuitton-Koffer, in den wir mit vereinten Kräften meine Provision schaufelten. Dann gab er mir noch einen Kuss auf jede Wange, wobei ich bemerkte, wie gut er roch. Nach einem sehr exquisiten orientalischen Parfum.
»Es war mir ein Vergnügen.« Er sah mir noch einmal ganz tief in die Augen: »Sie sind eine tolle Frau.«
Warum er das fand, ist mir ein totales Rätsel.
»Kann ich Sie noch irgendwohin mitnehmen?«
»Nein, danke. Ich gehe lieber zu Fuß.«
Endlich fuhr die schwarz glänzende Limousine mitsamt Prinz von Zamunda davon.
Jetzt stehe ich da mit meinem Lottogewinn und könnte eigentlich in Wuppertal eine Herrenboutique eröffnen. Oder mit meiner Tochter zu einer Papstaudienz reisen. Oder ihr ein Pferd kaufen. Oder endlich eine Luxuskreuzfahrt in die Karibik buchen!
Aber ich bin total erschöpft.
Warum freue ich mich denn nicht?
Warum mache ich denn keine Luftsprünge?
Warum rufe ich jetzt nicht in der Firma an und lasse den Champagner kalt stellen?
Mir ist nur nach einer Dusche.
Aber was das Aberwitzigste und Verrückteste ist – ich will wissen, wo Georg steckt.
Ja, ich bin ein Fall für die Klapse.
18
M it meinem prall gefüllten Geldkoffer unter dem Arm wandere ich durch das belebte Kitzbühel in Richtung Arosa. Hier wimmelt es auf den Straßen von reichen Menschen in feinsten Designerklamotten, die vor den Schaufenstern der Edelboutiquen stehen bleiben, also brauche ich mir um meine Kohle keine Sorgen zu machen. Mein Auto ist hoffentlich aus der Waschanlage zurück und auch von innen tadellos gesäubert. Ich werde dem Pagen einen Schein zustecken, in mein Auto steigen und nach Hause fahren.
Oder etwa nicht?
Ungläubig schüttele ich den Kopf.
Nein, ich werde nicht zum Bahnhof fahren und schauen, ob der Penner da noch sitzt! Unwillkürlich fange ich an zu keuchen, als sich mein Schritt beschleunigt.
Wie konnte so einer wie Georg überhaupt zum Penner werden?
Wie war sein Weg in den Abgrund?
Ich meine, was muss passieren und wie lange dauert es, bis ein gebildeter, höflicher, eigentlich gut aussehender Mann in den besten Jahren mit einer Strickmütze und einem Einkaufswagen auf der Parkbank sitzt?
Er hört klassische Musik und sucht ansonsten die Stille.
Er ist gern allein.
Er kann Mathe.
Er ist freundlich zu Kindern.
Hat er was ausgefressen?
Aber was?
Irgendwas muss passiert sein!
Welche Menschen haben sich von ihm abgewendet, was muss er getan haben, dass sie ihn so fallen gelassen haben?
Woher stammt er? Hat er noch eine Mutter?
Komisch, dass ich das denke.
Habe ich denn … Muttergefühle für ihn?
Oder...
War er mal verheiratet? Vielleicht hat er Kinder?
Warum ist dieser Mann so tief gefallen? Und warum versucht er nicht, wieder auf die Beine zu kommen? Fehlt es ihm an Geld? Nachdenklich presse ich den Geldkoffer an mich.
Erregt er da gerade mein Mitleid? Quatsch!
Was erregt er denn dann in mir?
Widerwillen. Genau.
Er erregt ganz klar meinen Widerwillen. Jeder halbwegs gebildete Mensch kann sich am Riemen reißen und arbeiten.
Meine Schritte werden härter, die Absätze meiner Pumps knallen auf den Asphalt.
Warum versucht er nicht, Arbeit zu finden?
Ich arbeite doch auch bis zum Umfallen.
Oder geht das alles nicht mehr, wenn man erst mal auf einer Parkbank sitzt?
Hat man da überhaupt noch Selbstachtung? Traut man sich noch unter kultivierte Leute? Zu Ämtern und Beamten? Weisen sie ihm beim Arbeitsamt die Tür? Scheuchen sie ihn bereits aus der Wartehalle? Wovon lebt er, wenn nicht von meinen Gurkenbroten? Wo schläft er, wenn nicht in meinem Auto?
Wo wäscht er seine Klamotten, wenn nicht in meiner Waschmaschine? Und wo wäscht er sich selbst, wenn nicht in meinem Badezimmer? Wo übernachtet er, wenn nicht in meinen leer stehenden Villen?
Ich meine,
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