Herzgrab: Thriller (German Edition)
Witwe Cristina stieg aus. Der Wind wirbelte ihr langes weizenblondes Haar durcheinander. Sie schirmte die Augen mit der Hand vor dem Regen ab und warf die Autotür schwungvoll zu. Dann stolperte sie zur Treppe, wo sie aus Gerinks Blickfeld verschwand.
» Die Familie ist mir scheißegal! « Monica warf die Arme in die Luft. » Sollen sie doch alle verrecken, um Himmels willen! Soll sich mein Vater doch das Leben nehmen oder vom Dach seiner großartigen Galerie gestoßen werden. Scheiß drauf! Wen kümmert es? « Wut glomm in ihren Augen. » Ich wollte ihm sowieso nur eine einzige Frage stellen, mehr nicht. «
Zenobias Hand zuckte bereits, als wollte sie ihrer Enkelin eine weitere Ohrfeige geben.
» Nur zu! « , rief Monica. » Ich habe mich immer nur zu meiner Mutter hingezogen gefühlt. « Plötzlich weinte sie. » Aber Mutter war viel zu gut für dieses Haus und den Abschaum dieser Familie! Und ihr habt sie nicht einmal in der Familiengruft beerdigt, sondern in einem kleinen unbedeutenden Grab auf einem verwahrlosten Friedhof in San Michele verscharrt. « Verachtung schwang in ihrer Stimme, und über ihr Gesicht liefen Tränen.
In diesem Moment betrat Cristina den Salon.
» Wenn du es unbedingt wissen willst « , triumphierte Zenobia. » Deine Mutter war nichts weiter als eine schäbige Hure! «
» Das sagst ausgerechnet du! «
» Ich habe Fochetti erst getroffen, als mein Mann längst … «
» Und deine feinen Söhne waren allesamt Hurenböcke, genauso wie dein Mann! « , fiel Monica ihr ins Wort. » Also erspare mir jeglichen Kommentar über meine Mutter. «
Cristina zwängte sich an den bewaffneten Männern vorbei und stellte sich in Gerinks Nähe. Sie brauchte einige Zeit, um sich zurechtzufinden. Gerink roch die eigenwillige Mischung aus Parfüm und Grappa, die sie verströmte. Aber er hätte auch an ihrer schiefen Haltung und dem glasigen Blick erkannt, dass sie ordentlich Alkohol getankt hatte. Obwohl sie wahrscheinlich kein Wort Deutsch verstand, hörte sie aufmerksam zu.
Zenobia ignorierte ihre Schwiegertochter. Stattdessen war ihr Blick auf Monica gerichtet, während ihre Hand zitterte. » Mein Sohn war krank, aber deine Mutter stand nie hinter ihm. «
» Du kannst die Wahrheit nicht schönreden! « , konterte Monica. » Die zügellosen Wutausbrüche meines Vaters trieben meine Mutter erst vor fünf Jahren in die Arme eines anderen. Lange genug hat sie ihn und seine Eskapaden ausgehalten. «
Zenobia horchte interessiert auf. » Du kleines verlogenes Luder wusstest es schon länger? Mein Sohn kam erst vor einem Jahr dahinter, dass deine feine Mutter ihn betrog und im Bett eines anderen die Beine breitmachte. «
» Nun ist es endlich ausgesprochen. « Monica ließ die Schultern sinken. Ihre Stimme wurde leiser. » Wie ist meine Mutter gestorben? «
Gerink bemerkte, wie Elena neben ihm den Atem anhielt. Auch Scatozzas Ohren waren gespitzt.
Zenobia schwieg. Ihr wurde offensichtlich bewusst, dass sie schon zu viel verraten hatte. Sie wollte Monica aus dem Salon drängen, doch Cristina stellte sich ihr plötzlich in den Weg.
Zenobia fuhr Cristina auf Italienisch an. Ihrer abwertenden Handbewegung zufolge musste es etwas Ähnliches bedeuten wie Schau dich bloß an, wie du aussiehst !
Cristina schlug Zenobias Hand beiseite, worauf Zenobia noch lauter wurde. Dann brach es aus Cristina hervor. Sie übertönte Zenobia und redete in italienischer Sprache auf Monica ein.
» Silenzio! « , unterbrach Zenobia sie, doch Cristina hörte nicht auf zu reden.
Scatozza trat an Gerinks Seite. » Das wird interessant « , flüsterte er. » Cristina war dabei, als Salvatore seine Frau zur Rede stellte. «
Aufmerksam verfolgte Scatozza das Gespräch und übersetzte gleichzeitig, immer wieder unterbrochen von Zenobias lautstarkem Silenzio !
» Der Streit eskalierte. Salvatores Brüder warfen Isabella Verrat an der Familie vor. Es kam zu Handgreiflichkeiten, Isabella stürzte über die Balkonbrüstung auf den Vorplatz und starb an inneren Verletzungen. Ihr Tod wurde als Reitunfall dargestellt … «
Gerink beobachtete Monicas Reaktion. Die Anspannung ihres Körpers und in ihrem Gesicht lösten sich, als hätte sie endlich die lang ersehnte Antwort erhalten, nach der sie so verzweifelt gesucht hatte. Bestimmt hatte sie schon mehrmals versucht, die Familie zur Rede zu stellen, doch niemand hatte ihr je die Wahrheit erzählt.
Trotz der schrecklichen Erkenntnis schien Monica in diesem Moment Frieden zu finden.
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