Herzhämmern
Schatten springen.
Und was war das gerade eben, versuche ich mich zu ermutigen, bist du nicht aus dem Schlitzauge in den glatten Tunnel geklettert? War das vielleicht nichts? War das nicht das Schlimmste überhaupt? Kann man sich danach noch vor einem Wasserloch fürchten?
Man kann.
Ich musste in die No-Name-Höhle kriechen, um ein paar Dinge zu begreifen. Zum Beispiel dass es nichts nützt, schon einmal über seinen Schatten gesprungen zu sein. Man muss es immer wieder von Neuem tun.
»Ich hole deine Scheißbatterien aus dem Wasser!«, rufe ich Bonni zu.
So. Nun hab ich es gesagt, nun muss ich es tun.
Kann sein, dass das Wasser mir über den Kopf geht. Kann sein, dass ich tauchen muss, was ich nicht kann. Oder dass ich die Batterien im Lehmschlick nicht finde. Alles ist möglich. Und das Wahrscheinlichste ist, dass ich die Aktion völlig umsonst mache. Nur um hinterher klatschnass und tonnenschwer zu sein.
Aber gegen dies Letzte kann ich etwas tun.
Froh, überhaupt etwas tun zu können, lege ich los und mache so schnell, wie es mir nur möglich ist. Zuerst die verkrusteten Schnüre um Hosenbeine und Ärmel. Dann die Schnürsenkel, die unter einer Lehmschicht liegen. Dann der Reißverschluss des Overalls - aber nur so weit, wie unbedingt nötig, denn nachher werde ich niemanden haben, der ihn mir wieder hochziehen hilft. Raus aus den Schuhen und dem Overall und dann aus den restlichen Klamotten. Die Lampe ragt schräg aus meinem abgelegten Helm. In ihrem Licht lege ich Jeans und Pulli, Socken und Unterwäsche auf den lehmdurchtränkten Overall. Dann habe ich nichts mehr an. Die Haare liegen mir schwer und feucht auf dem Rücken. Ich zittere vor Kälte. Wenn ich sehr schnell bin, finde ich nachher vielleicht noch einen Rest Körperwärme in meinen Klamotten. Dieser Gedanke treibt mich ins Wasser. Ich wate hinein und es geht stetig abwärts. Es ist so kalt, dass ich es fast nicht aushalte. Ich versuche, alle Empfindungen abzuschalten. Und den unsäglichen Schlick um meine nackten Füße nicht zu registrieren. Und ihn doch wahrzunehmen, je näher ich der hinteren Wand komme, denn dort sollten die Batterienpäckchen liegen. Und schnell, schnell, ehe meine Beine erstarren. Das Wasser geht mir bis zur Brust. Ich packe den schwimmenden Helm, um ihn in den Gang hinauszuschleudern, aber ich bin zu schlapp, ein Stück hinter mir tanzt er weiter. Ich konzentriere mich auf den Schlick, in dem ich mit den Zehen herumsuche. Glitschige Steine sind unter meinen Sohlen und ich unterscheide bald nichts mehr. Panisch wate ich umher, mit klappernden Zähnen und tastenden Füßen. Kleine Bewegungen, sagt mein Verstand, und alle Aufmerksamkeit auf den Tastsinn … Wo sind die Scheißdinger … Habe ich nicht immer gewusst, dass es umsonst ist?
Und dann passiert das Wunder und ich spüre etwas anderes als nur glitschige Steine: zwei eckige Päckchen mit scharfen Kanten - die Batterien! Sie liegen auch noch nahe beieinander - falls sie es wirklich sind - und ich stelle mich mit beiden Fußsohlen darauf.
Aber ich kann sie nicht nach oben befördern. Mit den Füßen bestimmt nicht. Mit den Händen auch nicht - selbst wenn ich das Kinn ins Wasser tauche, reiche ich nur bis zu den Knien. Ich drücke mit einem verzweifelten Ruck Mund und Augen zu und tauche vollständig ein. Gegen den Widerstand des Wassers suche ich mit einer Hand unter meinen Füßen herum.
Päckchen Nummer eins! Ich komme hoch und schnappe nach Luft. Beim zweiten Mal gerät mir noch etwas zwischen die Finger, etwas Fremdes. Ich umklammere die Batterien - sie sind es! Mit dem Schrei »Bonni, ich hab sie!« wate ich hinaus.
Was zwischen dem zweiten Päckchen und meinen Fingern klemmt, ist eine Herrenuhr mit Metallband.
Ich lasse alles in den Helm fallen und winde meine Haare aus. Dann streife ich mir das Wasser vom Körper und hocke mich zum Pinkeln nieder. Ich zittere so fürchterlich, dass ich mich an einem Stein festhalten muss. Mit klappernden Zähnen antworte ich auf Bonnis Gebrüll: »Wenn sie noch funktionieren, hab ich jetzt jede Menge Licht!«
Nach dem Anziehen prüfe ich zuerst die Folie der Batterienpäckchen. Sie ist dicht geblieben. Dann schaue ich mir die Uhr an; es ist eine Digitaluhr mit erloschener Anzeige. Ich drehe sie um. Für Jochen von rate mal ist in die Rückseite eingraviert.
Rate mal ist bestimmt seine Freundin …
Der Fund baut mich ungeheuer auf; ein Jochen war vor uns hier, ist ins Schlitzauge geschlüpft und hat dabei seine Uhr
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