Herzhämmern
donnert gegen die Decke, ich packe die Lampe und richte den Lichtkegel auf das Weiche.
Es ist meine Kotze vom Morgen und meine Freude darüber ist unbeschreiblich. Nun wird der Kriechgang trockener, die Luft verändert sich, mir ist, als könnte ich plötzlich wieder atmen und als hätte ich während dieses ganzen Albtraums immer nur gehechelt. Ich achte nicht mehr auf Kanten und Steine; dass meine Hände und Knie schmerzen, ist mir egal. Es geht jetzt steil nach oben und wird fürchterlich eng.
Im Lichtschein meiner Lampe taucht schließlich ein waagrechter Spalt auf und das kann nur der Panikschlupf sein.
Das ist der Panikschlupf!
Doch dahinter - draußen! - ist etwas Merkwürdiges los; ein unstetes rotes Licht und ein Prasseln, als stünde der Wald in Flammen. Für einen Sekundenbruchteil glaube ich, so lange in der Erde gewesen zu sein, dass inzwischen ein Krieg ausgebrochen sein könnte …
Ich erreiche mit einer Hand den Rand des Loches und fasse mit der anderen nach. Gras! Ich greife in richtiges Gras und ein Schluchzer bricht aus meinem Hals. Ich zwänge mich durch den Spalt und ziehe mich so weit heraus, dass ich erst mal sitzen kann. Die Welt hat mich wieder und vor meinen Augen brennt - ein Lagerfeuer.
Oh, ist die Welt schön! Das Feuer flackert hell in der dunklen Nacht, sein Knistern ist der schönste Laut, den ich mir denken kann. Ich ziehe die Beine aus dem Loch.
Da kommt um das Feuer herum jemand auf mich zu. Die Person wird stocksteif und lässt einen Arm voller Zweige fallen. Ich blinzle mit meinen entzündeten Augen und rapple mich auf. Dann stehe ich in voller Lebensgröße da. Die Gestalt, die jetzt einen Schrei ausstößt und über die Zweige stolpert, ist - meine Mutter.
»Mama!« Ich stürze nach vorn. Meine Mutter, das ist meine Mutter! Das Wunder ist ja noch viel wunderbarer!
»Martina?«, fragt sie. »Martina??«
Natürlich, wie soll sie mich erkennen, ich würde mich ja nicht einmal selbst erkennen.
»Das kann doch nicht wahr sein!« Sie reißt mir den Helm vom Kopf und dreht mein Gesicht zum Feuer. Sie besudelt sich von oben bis unten mit Lehm, als sie die Arme um mich wirft. Sie drückt mich wieder weg, schüttelt mich, schreit und schluchzt und prügelt plötzlich auf mich ein. »Du Idiotin! Du Wahnsinnige! Was hast du dir dabei gedacht!«
Ich kann mich nicht wehren. Vielleicht habe ich die Prügel wirklich verdient. Sonst würde ich doch wenigstens ausweichen.
Urplötzlich hört sie damit auf. Sie sieht sehr komisch aus, mit all dem Dreck an ihren Händen und in ihrem Gesicht und an der Jacke und an der Hose. Und mit dem verstrubbelten, beschmierten Rotschopf.
Ein Lachen drückt mich im Hals. Aber als ich den Mund aufmache, kommt stattdessen ein wildes Heulen heraus, ich kann nur noch die Augen zuquetschen, damit meine Kontaktlinsen nicht davonschwimmen. Meine Mutter tastet mich währenddessen von oben bis unten ab. Auch meine Haare fasst sie an. Danach heult sie los und jetzt schluchzen wir beide. Die Nacht, die Felsen, das lodernde Feuer, meine Esche, die im Dunkeln hinter der aufsteigenden Warmluft verschwimmt, und zwei heulende Gestalten.
Da muss ich auf einmal doch lachen.
Aber meine Mutter nicht. Sie geht wie eine Furie auf mich los und fängt wieder zu prügeln an.
»Hör auf!«, schreie ich zurück. »Ich bin doch da! Ich bin noch ganz und gar heil! Und - so hast du mich doch immer haben wollen!«
»Waaas?« Sie erstarrt.
»Immer hast du gewollt, dass ich etwas riskiere!«
Meine Mutter zieht die Luft tief ein und bläst sie langsam wieder aus. Dann bückt sie sich zu den Zweigen und wirft sie aufs Feuer. »Aber doch nicht dein Leben, du Verrückte.«
»Ach …?«
Sie baut sich vor mir auf und stemmt die Hände in die Seiten. »Spinnst du, Martina? Ich glaube, ich habe schon genug Angst um Martin haben müssen!«
Ich blinzle. »Hast du Angst gesagt? Du doch nicht! Du nicht und mein Vater auch nicht!«
»Was weißt du denn. Jedes Mal wenn er irgendwo hochgestiegen ist, bin ich vor Angst schier wahnsinnig geworden. Er war ja so ein Blödmann … Er hat mich immer ausgelacht.«
»Aber du hast doch alles mitgemacht!«
»Hab ich nicht.« Sie schaut mich seltsam an. »Ich hätte es gern. Und manchmal habe ich so getan als ob.«
»Und das ganze Freeclimbing …?«
Meine Mutter setzt sich im Feuerschein auf den Boden. Sie sieht mit schiefem Blick zu mir auf. »Ich war einmal zufällig mit Freunden bei so einer Aktion. Dabei habe ich Martin kennengelernt. Dann
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