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Herzhämmern

Titel: Herzhämmern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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abtaut, kommt er heraus, so jung und schön, wie er war. Nur eben tot.« Danach hörte ich sie lange weinen.
    Jetzt fühle ich mich ihm sehr nah. Es ist eine Nähe, die meinen Herzschlag beschleunigt: So nah, auf diese Weise nah, will ich ihm aber nicht sein! Ich will nicht sterben!
    Mein Weinen stoppt. Kälte und Entsetzen kriechen mir vom Rücken her in den Körper. Ein neuer Panikschub. Ich muss etwas dagegen tun, sonst drehe ich durch wie Bonni. Ich schiebe Bonni ein wenig zur Seite, atme tief und horche.
    Nichts. Kein Suchtrupp im Anmarsch.Von Ecke und Shelley ist schon lange nichts mehr zu hören. Als ihre Stimmen und Schritte sich entfernten, war keine größere Verlassenheit denkbar. Sie sind gegangen, weil sie gehen mussten. Und ich blieb, weil Bonni sonst verrückt geworden wäre. Sie nahmen beide intakten Lampen mit. Als Shelley noch einmal zurückkehrte, machte mein Herz einen Satz: Sie haben eine Lösung gefunden! Sie wollen doch, dass ich mitkomme!
    Aber Shelley hängte mir nur meine Lampe um. »Mein Scheinwerfer ist unzuverlässig«, sagte er. »Jetzt kannst du Licht machen, falls er ausgeht. Sei sparsam, Martina. Es kann dauern, auch wenn wir uns beeilen.« Er versicherte mir, dass sie es mit Bonnis Lampe schaffen würden, sie hätte ja neue Batterien. Ich solle mir keine Gedanken machen.
    Dann hockte er sich zu mir nieder. »Martina …« Er nahm mein Gesicht in beide Hände. »Wir kommen zurück. Okay?« Seine grauen Augen sahen mich an, seine Lippen öffneten sich weich. Wir küssten uns, und es war mir egal, dass Bonni zusah. Shelley und ich schauten uns an. Eine Brücke spannte sich von seinen Augen zu meinen Augen. Ich legte drei Finger auf seinen Mund. Er nickte mir zu und drehte sich um.
    Seitdem ist eine unmessbare Zeit vergangen. Ich hätte Shelley um seine Uhr bitten sollen. Aber ich habe nicht daran gedacht. Und Bonni denkt sowieso nur an seinen Klumpfuß.
    Jetzt murmelt er etwas.
    »Was sagst du?«
    »Mädchen haben’s gut«, wiederholt er.
    »Das ist mir neu, erkläre mal.«
    »Du bist fein raus«, murrt er. »Wenn du Schiss hast, ist das okay. Weil du ein Mädchen bist. Als Junge muss man wie Ecke sein. Das ist doch ungerecht!«
    »Shelley hat auch Angst«, vertraue ich ihm an.
    »Nein!« Er beäugt mich misstrauisch. »Glaube ich nicht.«
    »Ehrlich. Shelley hat’s mir selber gesagt.« Es ist so schön, Shelleys Namen auszusprechen …
    Bonni lehnt den Kopf mit geschlossenen Augen an die Wand. Wenn er jetzt weiterdenkt, müsste er eigentlich sein Verhalten mit Shelleys Verhalten vergleichen. Angst hin oder her.
    »Aber Shelley hat sich nicht den Knöchel gebrochen! Und muss nicht hilflos hier rumhocken!«
    »Ja, Bonni.« Das hat ja geklappt.
    »Und überhaupt ist er schon achtzehn!«
    »Stimmt, Bonni.« Ich beobachte, wie er die Zähne zusammenbeißt und sein Bein hält.
    »Lässt der Schmerz nicht nach?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Ich könnte dir den Fuß in nassen Lehm packen«, schlage ich vor. Das weiß ich von meiner Mutter. Sportverletzungen soll man sofort kühlen, es mindert die Schwellung.
    Bonni zieht entsetzt die Luft ein. Keiner durfte bisher den Fuß berühren. Außer Ecke, der ihm Schuh und Socke ausgezogen hat, während Shelley und ich auf der anderen Seite des Wasserlochs voller Angst lauschten.
    Inzwischen ist der Knöchel aber bereits so unförmig, dass eine Lehmpackung wahrscheinlich gar nichts mehr nützt.
    Um nicht vor Kälte zu erstarren, gehe ich in die Hocke und bewege Arme und Beine. Viel Raum habe ich nicht und Bonni macht sich Sorgen um die Lampe. »Wenn du sie streifst, geht sie aus!« Seine Zähne schlagen beim Sprechen aufeinander.
    Als müsste man ausgerechnet mich ermahnen, auf das Licht aufzupassen! »Du könntest vielleicht wenigstens mit den Armen rudern«, schlage ich sanft vor.
    Er tut es für kurze Zeit und mit schmerzverzerrtem Gesicht.
    Vor vierundzwanzig Stunden, denke ich unwillkürlich, war er der Überlegene und ich habe gezittert. Wie doch die Dinge sich ändern können. Wenn ich alle Beobachtungen addiere, komme ich zu dem Schluss, dass seine Überlegenheit von Anfang an gespielt war. Schon das Werfen mit Lehmklumpen, als ich ihn noch für ein Mädchen hielt, kam vielleicht nur von der Erleichterung, dem Loch entronnen zu sein. Aber was trieb ihn bloß dazu, am nächsten Tag wieder hineinzukriechen?
    »Bonni, warum hast du bei der Höhlenkriecherei mitgemacht?«
    Er zuckt die Achseln. »Wegen Ecke und Shelley. - Aber das verstehst du

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