Herzklopfen für Anfänger
Hocker und verteilte sein Fußpuder überall auf dem Boden, wie jeden Morgen. Die Putzfee kümmerte sich schon darum. »Ich hoffe, dir ist klar, dass du genau aus diesem Grund nicht hättest fahren sollen. Es ist lächerlich, dass du dich in so eine gefährliche Situation gebracht hast. Du hättest getötet werden können. Warum um alles in der Welt hast du mich nicht angerufen?«
Einen Grund für eine Strafpredigt fand er immer. Ich faltete demütig die Hände auf der Decke. »Was hätte das denn genützt? Du konntest ja sowieso nicht mehr fahren, das hast du doch gesagt. Außerdem hatte ich mein Handy nicht dabei.«
Blöd von mir, das zuzugeben. Ich lernte es wohl nie. »Du hattest dein Handy nicht dabei?« Er verdrehte die Augen. »Sally, wie bist du bloß auf die Idee gekommen, mitten in der Nacht loszufahren, ohne dein Handy mitzunehmen? Um Himmels willen! Du hättest auf mich hören sollen! Du hättest womöglich die ganze Nacht da draußen bleiben müssen. Ich meine, es hätte ja auch ein Irrer sein können. So wie es sich anhört, hatte der Mann sowieso nicht alle Tassen im Schrank.«
»Das glaube ich nicht. Er war sehr hilfsbereit.«
„Sehr hilfsbereit? Hilfsbereit! Ich hoffe, du hast seine Telefonnummer …«
»Ja, die habe ich.«
»Ich hätte nicht übel Lust, ihn auf der Stelle anzurufen und ihm die Meinung zu sagen.«
Ich war ihm zwar dankbar für seine Sorge, wollte aber so ein Ereignis lieber verhindern. »Bitte, tu das nicht, Jonathan. Es war ein Unfall. Es hat ihm sehr leid getan.«
Ich ergriff meine Tasse und trank einen Schluck Tee. Er war abgestanden und lauwarm.
»Darum möchte ich aber auch bitten! Und alles nur, weil du ständig immer dieses Mädchen durch die Gegend kutschieren musst. Sie nutzt dich aus. Aber du lässt alles mit dir machen, ist ja kein Wunder!«
Er hatte teilweise recht, deshalb machte ich mir gar nicht erst die Mühe, eine Antwort zu formulieren. Aber er redete bereits ohne Punkt und Komma weiter.
»Was ist bloß mit ihr los?«, wütete er. »Mit Morgan hatten wir solche Schwierigkeiten nicht.«
Morgan ist unsere Älteste. Oder, um genauer zu sein, seine Älteste, da Jonathan schon einmal verheiratet gewesen war. Seine erste Frau, Tricia, war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Als Jonathan und ich uns kennenlernten, war Morgan drei Jahre alt. Und vier, als ich ihre neue Mutter wurde. Jonathan hatte recht. Mit Morgan hatten wir solche Probleme tatsächlich nicht gehabt. Aber sie ist ein ganz anderer Typ. Nicht besser. Nur anders. Weniger stur und eigensinnig. Und außerdem nicht das Nesthäkchen, was ja auch einen Unterschied macht. Finster betrachtete ich meine Tasse. Ich wusste genau, was er dachte. Dass Kate deshalb mehr Ärger machte, weil sie meine Gene geerbt hatte. »Du liebe Güte, Jonathan!« Ich warf ihm einen finsteren Blick zu. »Sie ist ein Teenager. So sind sie eben.«
»Nein. Du verwöhnst sie zu sehr«, schnaubte er. »Dieses Mädchen muss begreifen, worum es im Leben geht. Und als Erstes wird sie ihren Hintern aus dem Bett bewegen und mein Auto saubermachen. Kate!«
Er marschierte aus dem Schlafzimmer.
»Und ich habe mir beide Beine gebrochen, danke, dass du fragst«, murmelte ich. Dann drehte ich mich um und versuchte, weiterzuschlafen.
3
Es heißt, alles Mögliche stehe in den Sternen. Das ist eine reizvolle, aber ein wenig fragwürdige Vorstellung, was die Fakten angeht. Sterne sind schön und geheimnisvoll. Aber dass sie unser Leben bestimmen, habe ich nie geglaubt.
Sicher war es faszinierend mir vorzustellen, dass meine Begegnung mit dem Tod am Freitagabend etwas Übernatürliches gehabt hatte. Es war auch verführerisch zu glauben, dass meine zufällige Begegnung mit einem gut aussehenden Fremden kein Zufall gewesen sei. Aber es ist albern und doof, solchen Theorien nachzuhängen, nur weil ein gewisser Jemand einem nicht mehr aus dem Sinn geht.
Du liebe Güte, dachte ich, als ich am Montagmorgen zur Arbeit fuhr, demnächst werde ich noch mein Horoskop lesen.
Oder vielleicht auch nicht. Schicksal war etwas für Fatalisten, nicht für Pragmatiker. Und ich war eher pragmatisch. Ich wurde zum Beispiel nicht aufgrund himmlischer Fügungen Optikerin, sondern weil ich mich in der sechsten Klasse rettungslos in einen Jungen namens Kevin verliebt hatte. Es stellte sich heraus, dass er Optiker werden wollte. Eine schreckliche Vorstellung, wie willkürlich lebenswichtige Entscheidungen oft getroffen werden. Er bekam jedenfalls keinen
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