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Herzraub

Herzraub

Titel: Herzraub Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Buttler
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oder Nacht war, hätte man nicht entscheiden können. Die OP-Leuchten, unter denen ein Chirurgenteam seine Arbeit beginnen würde, strahlten hart und präzise auf den Liegenden herab, um den sich die Mediziner versammelt hatten. Es war der junge Alexander Osswald, der zu dieser Stunde explantiert werden sollte.
    Der Krankenpfleger und die beiden Schwestern, die den Patienten von der Intensivstation in den OP gefahren hatten, atmeten tief durch. Sie waren gerade dabei gewesen, Alexander samt allen lebenserhaltenden Geräten und Drainagen auf den OP-Tisch zu betten, als dieser plötzlich mit dem Nacken ruckte.
    „Um Gottes willen, der lebt ja noch“, schrie der Pfleger.
    „Das ist nur der instabile Kreislauf, jetzt nehmt euch doch zusammen“, schnauzte die eine Schwester.
    „Es war, als ob der Patient Widerstand geleistet hätte“, flüsterte die andere Schwester.
    Jetzt lag Alexander Osswald ruhig da. Er war warm, die Haut rosig durchblutet, ein Gerät ließ ihn regelmäßig atmen, das EKG auf dem Monitor zeigte einen normalen Herzschlag.
    Er war nun in den Händen neuer Ärzte und deren Assistenten. Schwester Sunny hatte ihn schweren Gemütes weggeben müssen, Doktor Nickel und Doktor Förster durften als hirndiagnostizierende Ärzte nicht gleichzeitig eine Explantation vorbereiten. Die Entnahme-Chirurgen würden von außerhalb in die Klinik kommen und durften ihrerseits die entnommenen Organe nicht dem ausgewählten Empfänger einsetzen.
    Eine saubere Trennung der Bereiche, die für Alexander aber keine Rolle mehr spielte.
    Als OP-Schwester assistierte eine zierliche junge Frau mit zarten Händen. Schwester Maren hatte bereits alle Werkzeuge bereit gelegt: diverse Messer, Hammer und Meißel. Den gesamten Körperbereich, der operiert werden sollte, hatte sie mit einer Desinfektion gewaschen, die übrigen Partien mit Tüchern steril abgedeckt. Alexanders Gesicht musste sich niemand mehr anschauen: Ein gespanntes Abdecktuch verhüllte es. Nur die Anästhesieschwester, die mit zusammengepressten Lippen am Kopfende des Bettes stand, war dem Anblick ausgesetzt. Alexanders Beine hatte man mit einem Gurt festgeschnallt.
    Alle sahen jetzt die Anästhesistin an.
    „Narkose?“, fragte der Chirurg. Es war der rotgesichtige, kahlköpfige Doktor Rapp, der Leiter der Neurochirurgie, der die vorbereitende OP für die Explantation übernehmen würde.
    „Narkose? Wozu denn? Ich denke, der Patient ist tot.“ Frau Doktor Sonntags grüne Augen über dem Mundschutz sprühten Ironie. „Oder lassen Sie gleich Ihr Messer fallen, wenn er sich mal bewegt?“
    Der Chirurg warf ihr einen Blick zu, als wolle er sie anspucken. „Kreislauf?“
    „Stabil. Alle Vitalfunktionen okay.“
    „Gut, dann können wir.“
    Obwohl Claus Saalbach nur ein einziges Organ seines Sohnes zur Spende freigegeben hatte, sollte es eine Multi-Organentnahme werden. So viele verwertbare Organe wollte man sich natürlich nicht entgehen lassen.
    „Ein gesunder, kräftiger Oberkörper“, sagte der Chirurg. Und dann schnitt er los. Kurz unter dem Brustbein setzte er an, führte einen Bogen um den Nabel und ließ diesen am Schambein enden. Er war noch nicht bis nach unten gekommen, als ein von Grauen durchdrungenes „Hiilfe!“ertönte. Der Arm des Toten war hochgefahren und hatte den Körper der OP-Schwester umfasst. „Hiilfe!“, schrie sie weiter. „Der lebt ja noch.“
    Der junge Assistenzarzt war bleich geworden. „Blutdruck und Puls sind gestiegen, und wie er schwitzt! Oh Gott, der hat ja Schmerzen.“ Fragend sah er seinen Chef an.
    „Verdammt noch mal, was ist das hier für ein Kindergartenverein! Begreift doch endlich, dass das nur spinale Reflexe sind.“
    „Nur ist gut“, sagte die Anästhesistin.
    „Was ist jetzt mit Ihnen?“, herrschte Doktor Rapp die OP-Schwester an. „Können wir weitermachen?“
    „Entschuldigung“, stotterte die Schwester. „Ich hab mich nur so furchtbar erschreckt.“
    „Also, Frau Doktor“, wandte sich der Chirurg an die Anästhesistin, „wie wär’s jetzt mit einer kleinen Narkose?“
    „Ein Beruhigungsmittel für den Patienten oder für das Team?“ Ihre Stimme war nur noch Sarkasmus.
    „Jetzt hören Sie aber auf. Fentanyl und Pancuronium, bitte.“
    Fentanyl, ein Opiat, gab man gegen Schmerzen, Pancuronium entspannte die Muskeln.
    Frau Doktor Sonntag schloss das Narkosegerät an und führte die Mittel ein. Die OP-Schwester sah ängstlich auf den kopflosen, aufgeschnittenen Körper, aber der rührte sich

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