Herzraub
Lebensgefährte abzusichern war. In diesem Testament hatte sie auch verfügt, dass sie auf dem Bergstedter Friedhof bei ihren Eltern bestattet sein wollte. Ein dauerhaftes Glück mit einem Mann war ihr versagt geblieben, und sie hoffte auch nicht mehr darauf, deshalb wollte sie nicht bei einem Mann, sondern bei ihren Eltern liegen. Sie wünschte sich zurück zu den einzigen Wurzeln, die sie noch hatte.
In dem Vorraum der Kapelle saßen schweigend oder höchstens mal wispernd die Angehörigen und Freunde. Eine öffentliche Feier für die Verstorbene, bei dem angesichts ihrer Prominenz bestimmt an die achthundert Leute gekommen wären, hatte die Familie wegen der Mordumstände abgelehnt. Auch die Presse war ausgeschlossen. Wahrscheinlich würde aber doch irgendjemand aus einem Gebüsch preschen, in schneller Folge auf den Auslöser drücken, und dann konnte man das traurige Ereignis in der ›Goldenen Revue‹ wieder finden.
Kommissar Werner Danzik und sein Kollege hatten sich auf die entfernteste Bank gesetzt und nahmen die Gäste ins Visier. Beide trugen schwarze Trenchcoats, die sie sich extra für solche, leider häufigeren Events angeschafft hatten, darunter irgendwelche dunklen Sachen, auf die man nicht so genau achten würde. Sie hatten die Kragen hochgeschlagen, krochen förmlich in ihre Mäntel hinein und bildeten sich ein, hundert Prozent unauffällig zu wirken. Doch zwei Teilnehmer hatten sie natürlich erkannt. Marco Steinmann, mit fast schwarzer Sonnenbrille und in einem zu engen dunklen Partyanzug, schaute mit panischen Kopfbewegungen zu ihnen herüber. Professor Korte dagegen blickte erfreut auf. Die Präsenz der Kommissare schien ihm bei der endlosen Warterei auf den Trauerakt eine angenehme Abwechslung zu bieten. Er hatte gerade eine Pall Mall aus der Jackett-Tasche gezogen, steckte diese aber schnell wieder ein.
Er erhob sich und steuerte mit Schleichschritten auf die separate Bank zu.
„Na, auch hier auf der Pirsch?“, flüsterte er.
„Natürlich. Immer und überall im Dienst“, lächelte Danzik.
„Ich glaube, hier ist was für Sie zu holen.“
„Dann helfen Sie uns gleich mal auf die Sprünge und stellen uns ein paar Personen vor. Diskret natürlich.“
Professor Korte beugte sich verschwörerisch vor. „Nun ja, die Hauptperson ist gar nicht da. Kann gar nicht da sein. Der Sohn ist nämlich lebensgefährlich verunglückt. Tragisch, was?“
„Ja, das wissen wir“, sagte Tügel.
„Wer ist zum Beispiel die mittelalte Dame neben Steinmann, in dem kurzen Wollmäntelchen mit der Kroko-Tasche?“, wollte Danzik wissen.
„Das ist Gaby Imhoff, Frau Osswalds Schwester. Die hat ihr damals, bei der Herz-OP, ganz rührend beigestanden.“
„Was macht die beruflich?“
„Die ist Hausfrau. Daneben der Ehemann, von Beruf Ingenieur, und die Tochter, eine MTA.“
„MTA?“
„Medizinisch-technische Assistentin.“
„Ah ja.“
„Und wer ist dieses Grüppchen da ganz rechts?“, fragte Tügel.
Obwohl es hier nicht ganz passte, zog ein breites Strahlen über Kortes Gesicht.
„Das sind meine Herzblätter. Haben alle von mir ein neues Herz bekommen.“ Er seufzte. „Tja, die sind jetzt alle ganz niedergeschmettert. Sie haben Frau Osswald aus tiefster Seele bewundert. Sie war ja so couragiert und hat die Schwachen, Verzagten immer wieder aufgerichtet. Wie eine Mutter war sie zu denen.“
Dass eine von den Herzblättern fehlte, konnten die Kommissare allerdings nicht wissen. Dorothea, die bei der Nachricht von Celia Osswalds Ermordung zusammengebrochen war, war tot. Sie hatte wohl tatsächlich ein ›Schrottherz‹ erhalten und gehörte deshalb leider nicht zu den 90 Prozent der Empfänger, die das erste Jahr nach der Verpflanzung überlebten.
Danziks Blick blieb an einer mädchenhaften Blondine mit tiefblauen Augen hängen. Verdammt attraktiv, registrierte er. Ungefähr Ende vierzig. Die Haare vielleicht ein wenig zu lang für ihr Alter.
Er nickte in die Richtung. „Gehört die blonde Dame auch zur Familie?“
„Nein. Das ist Laura Flemming, eine Journalistin. Bereitet ein Sachbuch über die Transplantationsthematik vor.“ Der Professor sah den Kommissar mit einem leichten Lächeln an. „Soll ich Sie mit der Dame bekannt machen?“
„Ich bitte darum. Nach der Trauerfeier.“
Inzwischen war die Flügeltür geöffnet worden, die Gäste schritten hinein und nahmen auf den Bänken Platz. Kurz darauf setzte kraftvoll die Orgel ein, Barockmusik überflutete die Ohren und
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