Herzraub
erfahren, der kannte seine Rechte. Da musste es schon zu einem Prozess kommen, um ihn zu einer Aussage zwingen zu können. Aber ohne Beweismaterial kein Prozess …
Danzik trank noch ein zweites Glas, durstig, als müsse er eine aufkommende Besorgnis wegspülen. In der Organszene ermitteln – was für ein Horror! Ärzte, die abwiegelten, verängstigte Angehörige, die Repressionen fürchteten – würde er da überhaupt weiterkommen? War es möglich, dass er als Polizist zum ersten Mal komplett versagen würde? Überhaupt Ärzte! Er hatte sie aus seinem Leben gestrichen, panisch schaltete er jede Medizinsendung ab, seit – jenem Vorfall. Dem Vorfall, der ein Anfall gewesen war. Ein Erstickungsanfall. Noch nie hatte er so was erlebt. Aber er war ja gerettet worden, vom Notarzt, mit Cortison. Danach hatte er ein paar Wochen ein Spray benutzt, dann war der Spuk vorbei gewesen. Zehn Jahre war das her.
Danzik atmetet langsam und hörbar tief ein und aus. Nein, keinerlei Geräusche, alles klar und rein. Und wenn sich seine Lunge nun unbemerkt zerstörte? Leise aber stetig? Und dabei kontinuierlich das Herz angriff? Wie war das noch – eine falsch arbeitende Lunge beschädigte die rechte Herzkammer. Dann konnte auch er zum Herzpatienten werden.
Danzik nahm noch einen Schluck und schloss die Augen. Ein einziges Mal musste man diesen Gedanken zu Ende denken. Wie würde er sich verhalten, wenn der Tod unwiderruflich vor ihm stand und nur ein fremdes Herz ihn weiterleben ließ? Würde er den Tod oder das Herz annehmen? Nein, er wusste es nicht. Niemals würde man es wissen. Nicht, bevor man selbst zwischen diesen beiden Verzweiflungen zu wählen hatte. Danzik stand auf und brachte das Glas in die Küche. Er würde sie finden, diese Spenderfamilien. Finden und aufknacken. Sie hatten das Kostbarste ihrer Kinder weggegeben, irgendwann würde sie das Leid gesprächig machen. Und dann war auch der Mörder nicht mehr weit …
7
Claus Saalbach betrachtete sein Gesicht im Badezimmer-Spiegel. Er sah erschreckend aus. Eine grau-dunkle Kraterlandschaft, trübe Augen, seine schwarz getönten wenigen Haare klebten an den Schläfen.
Er hätte schlafen müssen, aber er konnte es nicht. Das Wort ›Spende‹ geisterte durch seinen Kopf, beklemmte und verwirrte ihn. Er musste wieder ins Krankenhaus, sich der Situation stellen, sie mit Anstand durchstehen. Warum war er so allein? Kein Mensch stand ihm zur Seite. Geschwister hatte Sascha nicht, Marco Steinmann, dieser Muskel-Macker, kümmerte sich einen Dreck um seinen ›Stiefsohn‹, und Celias Schwester Gaby hatte er seit Jahren nicht gesehen.
Konnte ihn nicht eine seiner Frauen begleiten? Frauen fanden doch oft die richtigen Worte, griffen mütterlich-patent ein, wenn gar nichts mehr ging und man emotional in der Sackgasse steckte. Aber ihm fiel kein einziger Name ein. Es war, als wären diese Frauen wie in einer endlosen Revue an ihm vorbeigetanzt und plötzlich hinter der Bühne in einer Versenkung verschwunden. Weiber! Er musste Heiner anrufen, seinen einzigen passablen Freund. Heiner war Anwalt. Vom Typ her einer dieser fitness-gestählten Machos mit Resthaar, Frauen gegenüber gefühllos bis zum Autismus, aber als Männerkumpan ganz annehmbar.
„Ja, ich komme mit“, sagte Heiner gedehnt. „Wenn es dir hilft …“
„Sonst hätte ich dich wohl nicht gefragt. Allein trau ich es mir nicht zu, wer weiß, was einen die Ärzte noch alles fragen.“
„Du musst Schutzkleidung anziehen“, sagte Claus Saalbach und reichte seinem Freund einen grünen Kittel. Der streifte schweigend die Sachen über. Seine missmutigen Züge verrieten, dass er am liebsten wieder abgehauen wäre.
„Mein Freund Heiner Wentorf“, sagte Claus Saalbach, als Schwester Sunny auf sie zukam. Sie nickte und führte die beiden an Alexander Osswalds Bett. Dann stellte sie ihnen zwei Stühle hin. Geräuschlos entfernte sie sich.
Heiner Wentorf knetete seine Hände. „Er sieht aus, als wenn er schläft.“
„Wenn es doch nur so wäre.“ Claus Saalbach seufzte tief auf. Sein verschattetes Gesicht wirkte eingefallen. „Man hat mir gesagt, dass man nichts mehr für ihn tun könne.“
„Aber er sieht doch ganz rosig aus. Komisch, dass man gar keine Verletzungen sieht.“
Unversehens stand der blonde Doktor Nickel hinter ihnen, die Hände nervös aneinander reibend. Claus Saalbach sprang auf. Eine Frage stand in seinen Augen, aber er sagte nichts.
„Herr Saalbach, ich habe eine schlechte
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