Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
zwielichtigen Gesellen allein in einen Wald wagen. Doch die zärtlichen Küsse des Wegelagerers und die Berührungen seiner kundigen Hände hatten sie jeglicher Vernunft beraubt.
»Ich vertraue Euch«, hauchte sie.
Im Nu wurde die Binde von ihren Augen gelöst und sank ins feuchte Moos.
»Oh!«, rief Millandra staunend aus.
Das üppige Festmahl, das sich ihren Augen darbot, wäre einer Prinzessin würdig gewesen. Auf einem mit Wiesenblumen bestreuten Samtumhang waren erlesene Pasteten, Erdbeeren und andere Früchte, Wachteleier und eine Flasche Champagner angerichtet. Ab und an spielten Sonnenstrahlen auf der schattigen Lichtung mitten im Wald. Noch nie hatte Millandra etwas so Zauberhaftes erblickt.
»Ich versprach Euch doch, Euch so reich zu bewirten wie Lord Ellington«, sagte Jake, »wenn nicht gar üppiger.«
Und als Millandra lächelnd zu ihm aufsah und ihr Blick auf seinem kräftigen sonnenbraunen Hals, seinen funkelnden smaragdgrünen Augen und dem gelockten nussbraunen Haar ruhte, war sie gewiss, dass Jake Delaware ihre anderen Verehrer mühelos aus dem Feld schlagen konnte …
Nun gut, ich nehme mal an, dass Jake sich nicht an einem Freitagabend durch einen Supermarkt kämpfen musste, in dem sich sämtliche Möchtegern-Starköche des Landes drängen. Vermutlich musste er auch nicht acht ächzende Tüten mit dem Bus nach Hause befördern. Aber die Botschaft kommt rüber, oder? Und obwohl er nur ein erfundener romantischer Held ist, bin ich bis jetzt doch ziemlich beeindruckt von dem Burschen. Millandra hat es wirklich gut. Außerdem ist sie vermutlich eine von der Sorte, die nur anmutig an einer Brotrinde knabbert und dann verkündet, sie sei satt – im Gegensatz zu gewissen anderen weiblichen Wesen, die sich die Leckereien reinschaufeln, bis sie sich wie eine Wurst fühlen, die gleich aus der Pelle platzt. Und Millandra nippt gewiss auch nur an ihrem Champagner, anstatt sich das Zeug so zügig hinter die Binde zu gießen, als gäbe es demnächst Champagnernotstand. Tja, sie ist eben eine romantische Heldin; ich schätze mal, da gehört solches Benehmen zur Jobbeschreibung.
Ich stecke mein Notizbuch weg und wende mich der anstehenden Aufgabe zu, aus dem Bus zu kommen ohne a) die Waden anderer Fahrgäste schwer zu beschädigen und b) mir mit den verdrehten Griffen der Plastiktüten die Finger zu amputieren. Ich habe keine Ahnung, weshalb Ollie so viel Zeug haben möchte. Für diesen Einkauf habe ich soeben das Haushaltsbudget eines Monats ausgegeben, und nun bin ich stolze Besitzerin von zahllosen Filetsteaks, Sahne, Pfefferkörnern, Foie gras und diversen anderen Artikeln, deren Verwendungszweck ich nicht mal erahnen kann. Ollie hat den Einkaufswagen so vollgeladen, dass ich beim Anschauen Höhenangst bekam.
Jedenfalls bin ich auf Siegeszug, was dieses Essen angeht. Ollie wird uns ein fantastisches Mahl bereiten, und ich werde eine strahlende Gastgeberin sein und James’ Vorgesetzte bezaubern.
Kann also nichts mehr schiefgehen. Wir haben James’ Beförderung schon so gut wie in der Tasche.
Der Bus kriecht im Feierabendverkehr auf Ealing Common zu. Es regnet ununterbrochen, und die Fenster beschlagen. Draußen hasten die Leute, unter Regenschirme geduckt, über den grauen Asphalt und weichen Pfützen aus. Man muss keine Hellseherin sein, um voraussagen zu können, dass ich pitschnass zu Hause eintreffen werde. Ich vermute mal, Millandra sieht umwerfend aus, wenn sie nass wird, mit zart geröteten Wangen und feuchten Locken. Im Gegensatz zu mir, die ich mit meiner fuchsroten Chaoskrause und knallroter Nase eher Chris Evans mit Schnupfen ähnele. Das Leben kann schon ätzend sein.
Wie befürchtet bin ich nass bis auf die Unterwäsche, als ich in Allington Crescent Nummer 12b eintreffe, und habe außerdem hundsmiserable Laune. Meine Finger sind schaurig weißgrün, weil die Blutzufuhr zu lange abgeschnitten war, und meine Doc-Martens-Stiefel sind offenbar undicht. Ich hege außerdem den schrecklichen Verdacht, dass die Kursarbeiten der zehnten Klasse im Bus liegen geblieben sind, was zwar kurzfristig den Vorteil hat, dass ich sie nicht stundenlang korrigieren muss, langfristig aber einen weiteren Besuch im Fundbüro bedeutet. Ich bin quasi auf Du und Du mit der Lady, die dort arbeitet, was wohl ein deutliches Licht auf meine Zerstreutheit wirft. Die PIN-Nummer für mein gemeinsames Konto mit James habe ich auch vergessen, denn die Karte wurde abgelehnt, weshalb ich meine eigene benutzen
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