Herzstück mit Sahne: Roman (German Edition)
mit irgendeinem Typen namens Rain oder Baggy zusammen, bis Dad dann schließlich mit Taschen voller Hasch zurückkehrte und irgendwelche Lügengeschichten erzählte. Nicht gerade ein tolles Vorbild! Meine bevorzugte Methode der Rebellion war, ein totaler Spießer zu werden, mich dem System anzupassen, zu schuften wie eine Sklavin und mich dem Patriarchat zu unterwerfen – das ist die Ausdrucksweise meiner Mutter, nicht meine –, anstatt meine innere Göttin zu finden oder nach Marrakesch abzuhauen.
Ich bilde mir gerne ein, aus härterem Stoff zu sein als meine Eltern. James und ich haben nur eine Durststrecke. Bestimmt wird es bald einen Aufschwung in der Wirtschaft geben, James wird seine Beförderung kriegen, und alles wird wieder wie früher sein. Ich muss nur geduldig abwarten und darf nicht gleich aus der Haut fahren, wenn er gereizt ist – was allerdings leichter gesagt als getan ist. In letzter Zeit habe ich mir so oft auf die Zunge gebissen, dass die Schulpsychologen mich wahrscheinlich demnächst zu den Selbstverletzerinnen zählen werden …
Ich kann James auf keinen Fall hängen lassen mit seiner Essenseinladung. Er macht sich in letzter Zeit so viele Sorgen um Geld, weil die Hochzeit bezahlt werden muss, seine Mutter ihn ständig anschnorrt und seine Aktien nichts mehr wert sind. Da ich mich mit einem Lehrergehalt durchschlagen muss und Kirchenmäuse verglichen mit mir reich sind, kann ich zur Verbesserung unserer Finanzlage auch nicht viel beitragen. James braucht diese Beförderung also dringend. Er betont immer wieder, dass alles davon abhängt.
Ich muss dieses Essen perfekt hinkriegen.
Dann sind wir alle Sorgen los.
Gut, dass ich im Pub bin. Ich muss unbedingt noch was trinken, um vernünftig über den morgigen Abend nachdenken zu können.
Ollie kehrt zurück, diesmal mit einer Flasche Wein, und fixiert mich mit stählernem Blick.
»Na schön, ich mach’s. Aber«, fügt er rasch hinzu, bevor ich mich ihm in überschwänglicher Dankbarkeit und Erleichterung zu Füßen werfen kann, »unter einer Bedingung.«
»Alles, was du willst!«
»Ich darf selbst an eurem Essen teilnehmen und einen Gast mitbringen. Wenn ich den ganzen Tag am Herd stehe, will ich abends wenigstens was zu futtern kriegen.«
Ich zögere einen Moment. Was wird James davon halten? Er ist nicht gerade ein Fan von Ollie. Andererseits ist Ollie klug und kann sich kultiviert unterhalten. Was er über die Literatur des achtzehnten Jahrhunderts nicht weiß, ist auch nicht wissenswert. Ich muss allerdings dafür sorgen, dass er nicht von Fanny Hill anfängt. Das käme bei einer Runde spießiger Banker so gut an wie ein Schlag ins Gesicht.
»Und wer soll der Gast sein?«, frage ich argwöhnisch. »Doch nicht etwa Nina?«
»Beruhig dich. Die muss arbeiten. Ich werd mir was einfallen lassen. Wir brauchen jemanden, der geistreich und unterhaltsam ist, damit der Abend ein Erfolg wird.«
Obwohl ich Ollie nicht attraktiv finde – was ich ja, glaube ich, schon erwähnt habe –, empfindet das Gros der weiblichen Bevölkerung das offenbar anders, so dass Ollie nie Mangel an Verehrerinnen hat. Die meisten von ihnen sehen zwar blendend aus, haben aber einen niedrigeren IQ als Salat und stellen für James’ Gäste eher keine Bedrohung dar. Julius Millward ist ein alter Knacker, und wenn wir dem ein ansehnliches Mädchen präsentieren, kann das der Stimmung nur förderlich sein.
Dieses Essen wird ein Bombenerfolg werden!
Ich strahle Ollie an. »Du kannst natürlich mitbringen, wen du willst.«
»Cool«, sagte Ollie. »Dann gieß dir mal den Wein hinter die Binde und hör gut zu. Wir müssen ein Menü planen.«
3
D i e seidene Augenbinde kitzelte sanft an Millandras Lidern. Sie konnte nichts sehen, doch stieg ihr der betörend süße Duft wilder Blumen in die Nase, und das weiche Moos unter ihren zierlichen Füßen verriet ihr, dass sie sich im Freien befanden. Ein sachter Wind streichelte ihre Wangen und spielte mit ihrem Haar. Jake geleitete sie durch den dichten Wald, seine Hand lag in ihrem Nacken.
»Nun, werte Dame«, sprach er, als sie stehen blieben. »Vertraut Ihr mir?«
Millandra war wohl bewusst, dass es tausendundeinen Grund gab, diesem Mann nicht zu vertrauen. Jake Delaware war der meistgesuchte Verbrecher Englands, ein berüchtigter Wegelagerer, der die königlichen Handelsstraßen heimsuchte und Degen und Donnerbüchse so schnell handzuhaben wusste wie der Blitz. Eine Edeldame sollte sich gewiss nicht mit einem solch
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