Herztod: Thriller (German Edition)
zur Joggingstrecke war es auch nicht weit. Am ersten Morgen in Hamburg war die übliche Runde, die sie sonst mit ihrem Hund drehte, deutlich kürzer ausgefallen. Kein Wunder, dachte sie – schwere Gedanken, schwere Beine.
Die Wirtin servierte ihr eine Portion Rühreier mit Krabben und knusprigem Bauernbrot, die viele Stunden vorhalten würde. Um halb neun saß sie im Wagen und machte sich auf den Weg ins nördliche Hamburg. Sie war den hochsommerlichen Temperaturen und dem Anlass angemessen, aber dennoch leger gekleidet – helle Leinenhose, blaue Bluse, Weste. Sachlich, locker und klar. Hannah war zierlich, brünett undgerade mal eins fünfundsechzig groß, und sie wählte ihre Kleidung mit Bedacht aus. Achim behauptete stets, dass sie ihm unter Tausenden von Menschen sofort ins Auge stechen würde – egal, wie sie sich kleidete. Doch er trug auch nach fünf Jahren Beziehung häufig noch die rosarote Brille, und Hannah konnte ihre Wirkung ganz gut selbst einschätzen. Sie war kein Blickfang, kein Typ Frau, nach dem sich Männer scharenweise umschauten, und das war ihr recht so. Sie war Beobachterin und Zuhörerin, und was im Gespräch oder bei einer Vernehmung gesagt wurde, vergaß sie nicht – um genau zu sein: nicht ein einziges Wort.
Mit allzu großer Begeisterung würde man sie nicht empfangen, das war schon während ihres Telefonats vor einigen Tagen deutlich geworden. BKA bedeutete aus Sicht der örtlichen Behörden zunächst einmal, dass sich jemand »von oben« einmischte und natürlich alles besser wusste; im Falle von Sonderermittlungen befürchteten die Beamten einen Haufen zusätzlicher Arbeit, für die unter Umständen Kollegen von anderen Einsätzen abgerufen werden mussten, ohne dass die Zuständigkeiten vernünftig geklärt waren und alle Karten auf dem Tisch lagen.
»Wenn sie auf stur schalten, setz einfach deinen Charme ein«, hatte Bernd Krüger ihr geraten und dabei ein Gesicht gezogen, als würde er aus dem reichen Fundus eigener Erfahrungen berichten. Dabei hätte Hannah jede Wette gehalten, dass Bernd das Wort Charme nicht einmal buchstabieren konnte.
Um kurz vor neun betrat sie den sternförmigen Gebäudekomplex am Bruno-Georges-Platz, dicht gefolgt von Kotti, und wenige Minuten später öffnete sie die Tür zum Büro von Detlef Schaubert, Hauptkommissar beim LKA, zuständig für Sondereinsätze und Ermittlungsunterstützung. Schaubert war ein großer massiger Typ mit Schnauzbart, Anfang fünfzig und somit zehn Jahre älter als Hannah. Er trug Jeans und Polohemd und sah ihr mit einem freundlichen Lächeln entgegen,aber sein Blick verriet Wachsamkeit und das übliche Staunen, als er Kotti entdeckte.
»Guten Morgen, Frau Jakob – oder besser Dr. Jakob? Sie sind doch studierte Psychologin, oder?«, fragte er und kam ihr mit ausgestreckter Hand entgegen.
»Ja, aber ohne Doktortitel, dafür bin ich aber auch gelernte Kommissarin«, erwiderte sie. Sie war sicher, dass er genau wusste, wen er vor sich hatte und welche Qualifikationen sie mitbrachte. Sein Händedruck war fest, die Stimme klang selbstbewusst.
»Verstehe, von der Pike auf gelernt.« Schaubert wandte den Kopf und warf Kotti einen amüsierten Blick zu. »Sind das die neuen Berliner Polizeihunde?«, witzelte er.
Hannah erwiderte das Lächeln, während ihr Hund herzhaft gähnte und Schaubert völlig ignorierte. »Ja, die fressen weniger und sind genügsamer als Schäferhunde – es dürfte sich wohl herumgesprochen haben, dass wir in Berlin jeden Euro für den neuen Flughafen brauchen.«
Schaubert grinste und bot ihr einen Platz vor seinem Schreibtisch an, auf dem sich drei Stapel Akten türmten. »Sie kommen also extra aus der Hauptstadt, um sich mit der vermissten Caroline Meisner zu beschäftigen?«, stieg er sofort ins Thema ein. Er ließ sich in seinen Sessel fallen und schob das Telefon und die Computertastatur beiseite.
Hannah nickte. »Sie wissen, dass ich als Sonderermittlerin des BKA in Vermisstenfällen tätig werde …«
»Ja, ich weiß.« Schaubert winkte ab. »Der Kollege, mit dem Sie gesprochen haben, hat mich über Ihre Arbeit informiert. Ich frage mich nur, wo Sie rein ermittlungstechnisch ansetzen wollen. Caroline Meisner ist ein Fall von Tausenden, die jedes Jahr verschwinden, und zwar spurlos und ohne den geringsten Hinweis auf ein Verbrechen, und die dann irgendwann in den nächsten Tagen oder Wochen wieder auftauchen – zu den Statistiken muss ich Ihnen wohl nichts sagen …«
»Nein. Im letzten
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