Herztod: Thriller (German Edition)
irgendwelche Fragen haben, sollten Sie die nicht auf die lange Bank schieben.«
Kuse zögerte. Der Mann war halb so alt wie er, und den lockeren Tonfall nahm er ihm keineswegs ab, aber darum ging es nicht. War sein Anliegen wichtig genug, um Tom Barold damit zu behelligen?
»Sagen Sie doch mal ein Stichwort, damit ich weiß, worum es geht«, schlug Barold vor. »Und ansonsten: Ich hab einen Tumor im Kopf, bin aber im Moment ganz fit.«
Vielleicht tut es ihm gut, sich mit einem Thema zu beschäftigen, das nichts mit seiner Krankheit zu tun hatte, überlegte Kuse. »Lilly Heinrich.«
»Ach?«
»Lissabon.«
»Oh, ja. Sie ist aus dem Fenster gefallen. Gruselige Geschichte. Wie kommen Sie denn da drauf? Ist ja schon eine Weile her, wenn mich nicht alles täuscht.«
»Fünf Jahre, um genau zu sein. Eine parallele Ermittlung hat einige Fragen aufgeworfen.«
»Interessant. Es hieß doch, dass es ein Unfall war.« Barold hüstelte.
»Die Nachforschungen wurden eingestellt«, sagte Kuse. »Man fand keine Hinweise auf Fremdeinwirken, keine konkreten jedenfalls. Wie standen Sie zu der Heinrich?«
»Das war eine heiße Braut.«
»Davon habe ich schon gehört – allerdings mit weniger schmeichelhaften Bezeichnungen.«
»Verstehe. Na ja, die hat sich halt durch jedes Bett gevögelt, um es auf den Punkt zu bringen, und besonders reizvoll fand sie es, Leute anzumachen, die prüde waren oder sich prüde gaben oder sie abwiesen. Das war wie eine sportliche Übung für Lilly«, erläuterte Barold unumwunden. »Frei nach dem Motto – ich krieg sie alle, irgendwie jedenfalls.«
»Können Sie sich noch an den besagten Abend und die Nacht im Hotel erinnern?«
»Was genau meinen Sie?«
»Hat es Streit gegeben? Womöglich in Heinrichs Zimmer?«, kam Kuse direkt zur Sache.
Zögern. »Kann man nicht ausschließen«, meinte Tom Barold dann langsam.
»Wissen Sie mehr darüber?«
»Ja, zugegeben, ein wenig, aber gerade in meiner Situation liegt mir nichts daran, mit Halbwahrheiten, die keiner mehr überprüfen kann, verantwortungslos herumzujonglieren. Ich will niemanden unnötig belasten, verstehen Sie? Schon gar nicht mit verschwommenen Erinnerungen, die möglicherweise einen völlig falschen Zusammenhang suggerieren und lediglich Spekulationen anheizen«, stellte Barold schließlich klar.
»Ich verstehe Ihre Beweggründe. Doch möglicherweise schützen Sie jemanden, der oder die das gar nicht verdient hat. Es gibt eine weitere tote Frau und vielleicht ein Muster.«
Kuse hörte, dass Barold tief ausatmete. »Vielleicht?«
»Ja – wir nennen das einen Anfangsverdacht, dem ich behutsam nachgehe. Betonung auf behutsam.«
»Nun gut, ich glaube, dass es ein Unfall war, dem ein Streit vorausging«, sagte er schließlich. »Ein Streit mit jemandem, der oder die sich nicht von Lilly verführen lassen wollte – so etwas klang von weitem an. Vielleicht hilft Ihnen dieser Hinweis weiter.«
Ich bin nicht sicher, dachte Kuse, aber ich bin ziemlich sicher, dass du Marie Schade schützen willst. Vielleicht mochtest du sie, vielleicht hatte es Lilly deiner Ansicht nach verdient zu sterben, auch auf diese Art. »Könnte Ihre Dozentin etwas damit zu tun gehabt haben?«
»Keine Ahnung.« Die Antwort kam sehr schnell.
»Sie konnten die Stimmen nicht zuordnen?«
»So ist es.«
»Gut, ich danke Ihnen, Herr Barold, und … ähm, tja …«
»Sie können mir ruhig alles Gute wünschen«, unterbrach Barold ihn, und ein Lächeln schwang in seiner Stimme mit. »Bei meiner letzten OP war ich schon einige Minuten auf der anderen Seite. Ehrlich, da ist es gar nicht so übel, das kann ich Ihnen versichern. Niemand muss Angst davor haben. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, vernünftig hinüberzukommen und nichts Unerledigtes zurückzulassen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Ich geb mir Mühe.« Kuse schluckte. »Also – alles Gute.«
»Danke, Kommissar, Ihnen auch.«
Kuse legte das Telefon auf und holte sich einen Kaffee, bevor er zu Stefanie Hobrecht ging. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Es tat gut zu schwitzen, gerade jetzt. Die Kollegin beendete ihr Telefonat und sah Kuse auffordernd an. »Und? Was erreicht?«
»Gut möglich, dass die Heinrich ihre Dozentin angemacht hat – sexuell, meine ich.«
»Kann ich das so weitergeben?«
»Kannst du, aber es gibt keine konkrete Aussage. Dennoch können die vielleicht bei der Vernehmung was damit anfangen.«
Das Video war knapp fünfzehn Minuten lang und hatte nur
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