Hesse-ABC
es sich zuzeiten schwer. »Man sollte keine
Ideen haben, man sollte keine neuen, schwierigen und vermutlich
unmöglichen Sachen probieren! Man sollte lieber seine Bücher
herunter schreiben wie ein braver, anständiger Handwerker, solid
bescheiden, ohne Probleme, den Lesern zur Freude, sich selbst
zum Nutzen, ohne Krampf, ohne Gehirnverlust.« Das sind so die
Anfechtungen des Unentschiedenseins, die den Künstler von der
Bürgerwelt trennen. In einem Gasthof gerät der Reisende an den
Tisch eines merkwürdigen Herren, der sein Leiden mit einem Blick
diagnostiziert: »Wünsche soll man sich stets erfüllen. Denn sehen
sie: damit sind sie erledigt. Und was erledigt ist, das plagt uns
nicht mehr.« Das ist die Frage: Soll man seine Wünsche erledi-
gen? Oder soll man sie vor falschen Erfüllungen schützen? Hesse
gibt darauf zwei Antworten. Die erste, verständliche im Affekt der
Bedrängnis: »Ja, er hatte unheimlich recht – nie tat man eigent-
lich, was man am liebsten wollte, immer ging man im Bogen um
seine Wünsche herum, man hätschelte und feierte sie, verbog und
verlog sie zu Idealen und Religionen, statt ihnen rasch und tapfer
den Hals zu brechen.« Das liegt nahe, aber wer wäre Künstler, der
es wirklich täte? Das umstandslose Erledigen der Wünsche ist
doch eher eine Sache des Kaufmanns im Bürger, der sich eins
nicht einmal mehr vorstellen kann: das Tabu. Die künstlerische
Wahrnehmung aber ist eine andere. Sie nimmt den Dingen nicht
ihren Zauber, sondern sucht ihn noch zu stärken, offenbart ihnen
an sich sogar einen Zauber, der ihnen bislang verborgen geblie-
ben war: »Der Baum, dem ich auswich, das Gras, das mich hoch
bis zu den Knien streifte, der verwachsene Weg, das verwilderte
Rondell, der Nachtfalter, die Grille - alles, und jedes Blatt am
Strauch und jede Schwingung der Luft, war so voll Beziehung, war
so weckend, erinnernd, erregend, führte mich in's eigne Innere
und darin zurück bis ins Gestaltlose – für Augenblicke begriff ich,
daß Worte des Mythos wie Chaos und Schöpfung, Worte der Ver-
nunft wie Vorzeit und Entwicklung im Grunde nicht ein Nachein-
ander meinten, sondern ein Zugleich und Ineinander. Urwelt war
nicht älter als Heute, war nicht gewesen: – Urwelt und Heute wa-
ren zugleich.«
X
Xenophon
Beliebtester Anwärter, wenn es um den Buchstaben X geht. Im-
merhin ein antiker Philosoph, der mehr gelesen wird als die aller-
meisten akademischen Gegenwartsphilosophen. Ein Sokrates-
Biograph mit Bestsellerinstinkt. Vielleicht kennen wir Sokrates
überhaupt nur noch durch Xenophons »Memorabilien« (»Erinne-
rungen an Sokrates«). Besser als Xenophon kann man ein Image
nicht kreieren: der Philosoph als Mann aus dem Volke! Hesse in
seiner Lese-Landkarte »Eine Bibliothek der Weltliteratur« erwähnt
natürlich auch Xenophon: »Wenden wir uns zur Welt der griechi-
schen Weisheit, so stoßen wir wieder auf eine schmerzliche Lücke:
den wirksamsten, vielleicht wichtigsten Weisen, Sokrates, müssen
wir uns aus den Schriften mehrerer anderer, namentlich Platons
und Xenophons, in Bruchstücken zusammensuchen.« Eine durch-
aus komfortable Position: das überlieferte Leben als rätselhaftes
Fragment!
Y
Yoga
Was man selber nicht praktiziert, kann man um so leichter ande-
ren empfehlen. Aber zumindest theoretisch gibt es eine passende
Antwort auf die Rationalitätshybris: Yoga. In einem Brief aus dem
Jahre 1954 an eine Leserin in Buenos Aires empfiehlt Hesse, ge-
gen die »Einseitigkeit des Strebens«, die »Rätsel der Welt und
Wirklichkeit auf rationalem Weg, durch Denken, zu lösen«, ein
Gegengewicht in sich zu schaffen – die »Befreundung mit der Na-
tur«: »Der Weg dazu ist Yoga. Es gibt tausend Bücher darüber, die
ich nicht gelesen habe, und es gibt, z. B. in Nordamerika, auch
Yoga-Schulen, zum Teil mit indischen Lehrern. Auch sie kenne ich
nur vom Hörensagen. Was ich in gewissen Zeiten meines Lebens
an Meditation nötig hatte, habe ich mir selbst erfunden, es ist
nicht lehrbar und mitteilbar.«
Z
Zarathustras Wiederkehr
Der Untertitel dieses 1920 zuerst anonym erschienenen Textes
lautet: »Ein Wort an die deutsche Jugend und andere Denkschrif-
ten gegen den Radikalismus von rechts und links«. Im Stile von
Nietzsches Zarathustra-Dichtung spricht Hesse zu den jungen
Deutschen, die er durch den Krieg orientierungslos und verstört
weiß. Die größte Gefahr sieht Hesse darin, daß sie einen
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