Hesse-ABC
in einer solidarischen Gemeinschaft die praktische
Nächstenliebe lebte. Nach seiner zweiten Italienreise schreibt
Hesse voller Begeisterung aus dem Handgelenk heraus zwei kurze
Monographien: über Boccaccio und über Franz von Assisi. Die
störten niemanden, wurden freundlich aufgenommen, aber Hesse
selber waren diese Texte bald peinlich, denn er hatte sie »in ju-
gendlichem Enthusiasmus mit einer Ahnungslosigkeit und Frech-
heit, in die ich mich nicht mehr zurückzudenken vermag,
hingeschrieben«. Dieser harte kritische Blick auf die eigenen Texte
erstaunt bei Hesse immer wieder. Tatsächlich jedoch mangelt es
beiden Porträts an einem eigenen Ton, sie ahmen den Gestus ih-
res jeweiligen Gegenstands auf recht kunstgewerbliche Weise
nach. Zu Lebzeiten Hesses wurden diese Texte dann nicht mehr
veröffentlicht; erst 1983 wurden sie in den Sammelband »Italien«
und 2001 in den von Volker Michels herausgegebenen Band 1 der
»Sämtlichen Werke« aufgenommen.
Frauen
Hesse leidet in ↑ Gaienhofen un ter der falschen Frau. Aber die richtige Frau, die gibt es für ihn nur in seiner Phantasie. Hugo Ball
erkennt das lebenslange »böse Dilemma«. Soweit die »Gattin im
Traumbild der Mutter aufgeht, bringt sie Verschuldung und Qual;
soweit sie aber von diesem Traumbilde verschieden ist, gehört sie
einer fremden, feindlichen Welt an; ist sie von außen dazuge-
kommen«. So gibt es in Hesses frühen Büchern viele unglückliche
Liebhaber, wie Ball analysiert: Denn »die Seele eines Romantikers
ist selbst eine Frau«. Daher komme es, daß diese Jünglinge kein
Glück bei den Frauen haben. »›Ich ging mit Frauen um wie mit
Freunden‹, heißt es in ›Gertrud‹, und ›Gertrud‹ ist gerade derjenige
Roman, der das Schwanken des Künstlers zwischen Gral und Be-
gehren, zwischen himmlischer und irdischer Liebe darstellt. Diese
Jünglinge wollen von ihren Freundinnen getröstet, geleitet, be-
treut, genommen sein, und empfinden das verliebte Wesen doch
als Absurdität und Irrtum. Sie haben Hemmungen und versagen,
die Liebe gelingt ihnen nicht. Sie verlangen zu wenig und erwar-
ten zu viel; ja sie empfinden alle Skrupel und bösen Sensationen
eines Vergehens, einer Verlockung zu Dieberei und Verbrechen: es
ist nicht nur ländliche Verlegenheit. Es ist eine Glut, die ihnen die
Sprache verschlägt, und ein Mitklingen von widerstrebenden
dunklen Erinnerungen.«
Dennoch bekennt es Hesse: »Man tut alles im Leben, oder das
meiste, der Frauen wegen. Habe ich den größten Teil meines Le-
bens hindurch mich angestrengt und mir Systeme ersonnen, um
mich gegen die Frauen zu wehren, so tue ich jetzt zur Abwechs-
lung das Gegenteil. Habe ich mich während meiner Jugendjahre
um Weisheit bemüht, so gebe ich mir jetzt Mühe, auch einmal ein
Kindskopf zu sein. Und es gelingt, nicht immer, aber oft genug,
und macht mir Freude.« (»Verbummelter Tag«, 1926)
Liebe ist Sehnsucht, weiß Hesse. Erfüllungen werden schnell
schal. Darüber hat er im »Tagebuch eines Entgleisten« (1922) ge-
schrieben: »So habe ich einst die Freiheit ersehnt, und sie dann
ausgetrunken, und den Ruhm und das leibliche Wohlergehen, nur
um satt zu werden und mit einem neuen, anderen, verwandelten
Durst zu erwachen. Wie habe ich in jungen Jahren die Ehe und
Familie verehrt und mir kaum zu wünschen gewagt – und ich be-
kam Frau und Kinder, liebe Kinder, die ich zärtlich und ängstlich
liebte – und es fiel alles wieder auseinander! Und wie habe ich in
gierigen Jünglingsjahren den Ruhm erträumt! Und der Ruhm kam,
er war plötzlich da, und machte schnell satt, und war so dumm
und lästig!... Dasselbe erlebte ich mit den Frauen. Auch sie, die
Fernen, die lang Begehrten, die Unerreichbaren sind jetzt gekom-
men. Gott weiß durch was gezogen, und ich streichle ihr Haar und
ihre bangen warmen Brüste, und wundere mich, und halte schon
zögernd die angebissene Frucht in der Hand, die einst so fern und
paradiesisch lockte! Sie schmeckt, die Frucht, sie schmeckt süß
und voll, ich darf sie nicht schelten - aber sie macht satt, sie macht schnell satt, ich fühle es schon, und wird bald weggeworfen sein.«
Frau Eva
Figur im ↑ » Demian«, d ie dem »Mythos von der Großen Mutter«
entspricht und Hesse durch Bachofens Überlegungen zum Mutter-
recht vermittelt worden ist.
Freunde
In Hesses Werk immer Doppelgänger; Ich-Verdopplungen. Das Ich
und sein höheres Idealbild, in das sich einer in den
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