Hesse-ABC
vor-
ausplanen und nichts dem Zufall überlassen. Auf diese Sorte
Gärtner blickt Hesse mit ein klein wenig Neid und viel Ironie. Sein
Garten soll ihm nicht zur Plantage werden, auf der er sein eigener
Sklave oder, schlimmer noch, Buchhalter ist: »Wir anderen, wir
Dilettanten und Faulpelze, wir Träumer und Winterschläfer, sehen
uns eben wieder einmal vom Frühling überrascht und betrachten
mit Bestürzung, was alles die fleißigeren Nachbarn schon getan
haben, während wir ahnungslos in angenehmen Winterträumen
lebten. Nun schämen wir uns, es pressiert plötzlich schrecklich,
und indem wir dem Versäumten nachlaufen und unsere Scheren
schleifen und dringend an den Samenhändler schreiben, gehen
schon wieder halbe und ganze Tage dahin.« Gartenarbeit ist für
Hesse also eine Form der Sammlung, der »Meditation und geisti-
gen Verdauung«: eine Lebensform. Sie hat in ihrem elementaren
Bezug zur Erde auch immer etwas Kindliches. Der Gärtner ist ei-
ner, der auf das Wachsen vertraut, der an die Verwandlung des
unscheinbaren Samens zur prachtvollen Blume glaubt. Insofern ist
Gartenarbeit für Hesse ein Ausdruck seiner Frömmigkeit, die man
mystisch-pantheistisch nennen kann.
Gärten tragen immer auch das Erinnerungsbild des ersten Gar-
tens, des Gartens der Kindheit, in sich. Der Gärtner Hermann Hes-
se sucht den Ursprung in mehrfacher Hinsicht. Er sucht das erste
Wort eines zu schreibenden Textes und er sucht das längst ver-
gessene Wort, das entschwundene Bild, so wie er es zum ersten
Mal sah. Gärtner glauben an die Wiederholbarkeit des Anfangs.
Sie erleben es jedes Frühjahr wieder. Sie atmen das Erwachen der
Naturkräfte um sich ein und ziehen Kraft daraus: »Daß der Dichter
so an seine Wörtchen klaubt und setzt und auswählt, mitten in
einer Welt, die morgen vielleicht zerstört sein wird, das ist genau
das Gleiche, was die Anemonen, die Primeln und andere Blumen
tun, die jetzt auf allen Wiesen wachsen. Mitten in einer Welt, die
vielleicht Morgen mit Giftgas überzogen ist, bilden sie sorgfältig
ihre Blättchen und Kelche mit fünf oder vier oder sieben Blüten-
blättern, glatt oder gezackt, alles genau und möglichst hübsch.«
Der Gärtner als Dichter also ist das Kind, das auf den Sinn seines
Tuns vertraut, darauf, daß es ein Morgen geben wird. Ist das eine
altmodische Haltung zur Welt?
Der »Spiegel« hat einst, als er im Juli 1958 über Hesses 81. Ge-
burtstag schrieb, in dem Gärtner Hesse nur eine Karikatur sehen
mögen. Ein komischer Kauz mit Strohhut. Dieses Foto, zwanzig
Jahre zuvor aufgenommen, auf dem Titel des Magazins sollte vor
allem eines vermitteln: die Weltfremdheit eines in die Jahre und
aus der Mode gekommenen Idyllikers. Seine »Kleingärtnerfreu-
den« hätten den Autor vom »internationalen Konzert der Weltlite-
ratur« ausgeschlossen, meinte der »Spiegel« damals. Als ob in
Hesses Garten jemals ein Gartenzwerg gestanden hätte! Es hat
erst der 68er Revolte mit ihrem Sinn für die Entfremdungsmecha-
nismen einer blindläufigen Fortschrittsautomatik und der Bewe-
gung der Grünen bedurft, um die Verächtlichmachung des
Gartens als rückständiger Spießeridylle zu revidieren. Nicht der
Garten, sondern sein industriell-technisches Zurücklassen stehen
unter Rechtfertigungszwang. Der Garten als Inbegriff fruchtbaren
Werdens, Vergehens und neuerlichen Werdens wird zum Sinnbild
moderner Kultur. Denn Natur zu kultivieren, ohne sie zu zerstören,
wo, wenn nicht in einem Garten, sollte man es lernen?
Gedichte
Eigentlich ein Bewunderer, kann Kurt ↑ Tucholsky , geht es um Hesses Gedichte, nicht recht an sich halten: »Die Gedichte sind rüh-
rend schlecht...« Thomas Mann dagegen spricht von Hesses
»bezaubernder Lyrik«, die »eine sensitive Modernität in Laute
volkstümlicher Romantik« zu kleiden wisse.
An Hesses Lyrik scheiden sich also die Geister. Denn nirgendwo
sonst – nur in seinen Aquarellen vielleicht noch – offenbaren sich
seine Stärken und Schwächen so offen wie in den Gedichten. Von
seinen ersten Versuchen 1896 im »Deutschen Dichterheim« bis in
sein Todesjahr 1962 schreibt Hesse Gedichte. Insgesamt mehr als
1400. Es ist eine große Kontinuität in der Form. Allesamt sind sie
ohne jedes Bemühen zur Verknappung, zur Kristallisation; die
Form scheint aufreizend brav. Hesse schreibt Gedichte immer
noch so wie Mörike oder Eichendorff. Lieder, meist auch noch
gereimt. Hesse hat kein Bewußtsein für
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