Hesse-ABC
Autobiogra-
phie wird sich Finckh später des ersten Eindrucks erinnern, den
Hesse auf ihn machte: »Er war ein wenig jünger als ich, aber er
schien mir viel älter und reifer zu sein; er mußte schon Schweres
durchgemacht haben, seine Verse waren voll Geist und Schwer-
mut.«
Über Finckh bekommt Hesse auch Zugang zu dem studentischen
Kreis »petit cénacle«. Mit studentischem Korpsgeist hat man dort
wenig im Sinn, man gibt sich musisch-antibürgerlich, spielt Billard
und macht gemeinsam Ausflüge. Die Freundschaft mit Finckh hält
länger als der »petit cénacle«-Kreis. Finckh (»Ugel« genannt) folgt
Hesse sogar nach Gaienhofen und wird dessen Nachbar. Er veröf-
fentlicht auch den erfolgreichen Unterhaltungsroman »Der Rosen-
doktor«. Gemeinsam ziehen sie in den Sommern mit Angel,
Schmetterlingsnetz und einer Flasche Wein durch die Bodensee-
dörfer oder fahren Boot. Hesse genießt die sonnigen Tage ebenso,
wie er an den kalten Wintern leidet. Allerdings vermag Finckh sich
nicht wie Hesse mit einem Kraftakt von dem faulen Frieden der
Landidylle zu befreien, sondern bleibt lebenslang in ihr gefangen.
Als der Erste Weltkrieg beginnt, stellt sich Finckh ganz zu den
Kriegsbegeisterten. Hesse und Finckh geraten damit moralisch auf
verschiedene Seiten. Solchen Haßtiraden gegenüber, wie sie
Finckh jetzt fabriziert, empfindet Hesse nur Verachtung und
schreibt sein »O Freunde, nicht die Töne!«, was ihn dann endgül-
tig zum Feind der Nationalisten werden läßt. Hesse ist fassungs-
los, wie primitiv bisher kultivierte Menschen plötzlich werden
können, wenn sie der patriotische Rausch erfaßt. Finckhs unsägli-
che Haß-Reimerei ist dafür ein exemplarisches Beispiel: »[...] Was
tut man mit den Franzen?/Man setzt den Mörser auf die Bahn/Und
läßt sie aufwärts tanzen [...]/ Was macht man mit den Belgen? /
Man läßt sie treulich in der Gruft/Mit ihren Freunden schwelgen.
[...]/Was macht man mit den Russen?/Man läßt sie vor dem
Schießgewehr / Die Mutter Erde küssen. [...]« Finckh gehört dann
auch zu denen, die von der bitteren Weltkriegsniederlage nicht
etwa in ihrem militanten Nationalismus geheilt werden, sondern
sich vom Nationalsozialismus vereinnahmen lassen. Nach 1945
gilt Finckh darum in der französischen Besatzungsmacht als Nazi-
Mitläufer, seine Bücher werden eingestampft, und er muß sich
einem Spruchkammerverfahren stellen. Darum erinnert er sich an
seinen alten Jugendfreund, den ausgewiesenen Feind des Natio-
nalsozialismus Hesse, und bittet ihn um Unterstützung. Hesse
lehnt ab. Aber er erlaubt Finckh, der Spruchkammer seinen Ant-
wortbrief an ihn vorzulegen. Darin heißt es: »Mir ist Deine Art von
Patriotismus stets zuwider gewesen, und Du hast mit Deinem Na-
men, Deiner Begabung und Deiner Autorität als Autor stets auf
der anderen Seite gestanden wie ich. [...] Daß Du auch an Hitler
selbst und seine Partei als eine reine, patriotisch-idealistische Sa-
che geglaubt hast, ist traurig und ist nicht zu verzeihen, es ist die
Sünde von 90 % der deutschen Intellektuellen.« Finckh wird von
der Spruchkammer freigesprochen und beginnt sofort an einem
Buch über seine und Hesses schwäbische Ahnen zu schreiben. Die
seien das geheime Band zwischen ihm und Hesse über die Zeiten
hinweg gewesen. Bloß noch töricht findet Hesse das.
Fotos
Henry Miller begeistert: »Was für wundervolle Fotos von ihm aus
allen Lebensaltern!«
Franz von Assisi
Hesses Lieblingsheiliger, weil er auf jeden Pomp verzichtend ganz
ein »Poverello« (ein Armer) sein will, der mit den Ärmsten lebt,
um nah bei Christus zu sein. Hesse kennt das Franziskanische aus
Italien, er sieht, wie Hugo Ball sagt, Italien mit franziskanischen
Augen. Und er hat Paul Sabatiers höchst revolutionäres Franzis-
kus-Buch gelesen, das sich ganz auf die Seite der vom Ordens-
gründer verkörperten Idee der Armut stellt, die im Zuge der
Verkirchlichung des Ordens (dem Streit der »Spiritualen« mit den
»Konventualen«) immer mehr zurückgedrängt wurde. »Peter Ca-
menzind« läßt sich als eine einzige Liebeserklärung an den fran-
ziskanischen Geist der Brüderlichkeit lesen. Ein Geist, der im
gotischen 13. Jahrhundert Gott nicht nur himmelhohe Kathedralen
baute, sondern der auch im Kleinsten und Unwürdigsten Gott ent-
deckte: in der Natur! Gott ist nie auf der Seite der Reichen und
Mächtigen, sagt Franziskus, wie auch Jesus keine Kirche gründen
wollte, sondern
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