Hesse-ABC
anderen zu
verwandeln sucht. Hier immer auch Schüler und Meister, als Mög-
lichkeit, die jeder als Wege der Selbsterziehung zur Vollkommen-
heit in sich trägt. Solche Freundespaare bei Hesse sind:
Giebenrath und Hermann Heilner (»Unterm Rad«), Demian und
Emil Sinclair, Siddhartha und Govinda, Harry Haller und Pablo
(sowie Hermine), Narziß und Goldmund. Sogar eine Erzählung
unter dem Titel »Freunde« hat Hesse veröffentlicht.
G
Gaienhofen
Von Rousseauismus leben nicht nur Hesses Texte, sondern auch
der Dichter sucht in seinem privaten Leben einen Ort abseits der
Zivilisation der großen Städte – mitten in der Natur. Jetzt, nach
dem Erfolg des »Peter Camenzind« (1904) und der Heirat mit Ma-
ria Bernoulli, die er ein Jahr zuvor auf seiner zweiten Italienreise
kennengelernt hatte, scheint dieses Ideal plötzlich lebbar gewor-
den. Hermann Hesse sitzt zu Hause bei seinem Vater in Calw und
schreibt »Unterm Rad«, und seine Frau geht auf Häusersuche.
Sie findet eines in Gaienhofen, am unteren Teil des Bodensees.
Ein Bauernhaus, für 150 Mark im Jahr zu mieten! Das scheint Hes-
se, der für den »Camenzind« gerade 2500 Mark bekommen hat,
machbar. Es liegt mitten im Dorf, gegenüber der Dorfkapelle: »Das
einzig Komfortable im Hause war ein schöner alter Kachelofen mit
›Kunst‹, von der Küche her heizbar, Wasser gab es nicht, das muß-
te vom Brunnen in der Nähe geholt werden, Gas oder elektrisches
Licht gab es in der ganzen Gegend nicht, und es war auch nicht
ganz einfach, das Dörfchen zu erreichen oder zu verlassen; außer
dem Dampfschiff, das nur sehr selten oder bei Eis und Sturm oft
überhaupt nicht fuhr, gab es nur einen Pferdepostwagen, mit dem
man in stundenlanger Fahrt, mit langen Aufenthalten in jedem
Zwischendorf, eine Bahnstation erreichen konnte. Es war aber
gerade das, was wir uns gewünscht hatten, ein verwunschenes,
verborgenes Nest ohne Lärm, mit heißer Luft, mit See und
Wald...«
Doch schnell spürt Hesse die Ambivalenz der bäuerischen Exi-
stenz: ein »Gefühl von Seßhaftigkeit, und eben darum auch zuwei-
len das Gefühl der Gefangenschaft, des Verhaftetseins an Grenzen
und Ordnungen ...« Eigentlich gibt es für diese Art von Heimwer-
kerexistenz im verfallenen Bauernhaus für Hesse nur eine Legiti-
mation: »Es war das Erste!« Aber Hesse ist eben doch kein
Bauerndichter, er sucht die Metamorphosen, die Grenzüberwin-
dungen. Das unterscheidet Hesse von seinem Gaienhofener
Freund Ludwig ↑ Finckh, der noch ein halbes Jahrhundert später die Landexistenz jener Jahre rühmt: »Es begann nun das sonnige
Idyll, das sich nicht um die Welt kümmerte, nur auf Natur und
Freundschaft gestellt, – ein frohes unbeschwertes Sommerleben
fristete.«
Aber der Gaienhofener Garten, anders als später der in Mon-
tagnola, noch ganz der Selbstversorgung dienend, erweist sich
schließlich als zu wenig welthaltig. Hesse beginnt unter der Abge-
schiedenheit zu leiden. Auch die Ehe mit Maria Bernoulli stellt sich
als Irrtum heraus. Das Gaienhofener Leben mit ihr und den drei
Söhnen ist nicht die Form, die der Ehrlichkeitsfanatiker Hesse als
dauerhafte Lebensform auszuhalten vermag. Er sinnt auf Flucht,
Ausbruch aus der Lüge, die die Landidylle ihm bedeutet. Und geht
erst einmal so häufig wie möglich auf Reisen.
Gärten
Gegenwelten! Refugien, kleine Idyllen und zugleich Experimen-
tierstätten unserer naturumschöpfenden Phantasien. Sinnliche
Weltspiegel. Hier bauen wir an, um zu ernten. Hier züchten wir
Schönheit. Aber hier wachsen ganz ungewollt auch Unkräuter, die
sich all unseren Ausrottungsbestrebungen erfolgreich widerset-
zen. Das ist vielleicht, in manchen Momenten, unsere glücklichste
Gartenerfahrung: Es wächst ganz von allein.
Gärten sind Vitalitätsbeweise der Natur. Wildwüchsig und nur in
beständiger Arbeit zu zügeln. Wir machen die Gärten nicht, wir
haben teil an ihnen. Ließe sich der Platonismus mit der Natur be-
weisen, dann anhand des Gartens. Wir säen, gießen, schneiden –
und hoffen, daß es am Ende etwas zu ernten gibt. Aber das ist
nicht einmal das Entscheidende. Daß er uns Heimat wird, ist wich-
tig. Heimat bedeutet: versöhnt sein mit der Natur, mit uns selbst.
Und unser Hand-Anlegen ist dabei weniger zweckgerichtete Tätig-
keit als rituelle Übung. Es sind Aufmerksamkeitsbekundungen der
Natur gegenüber, Meditationen beinahe. Nach dem Erfolg von
»Peter Camenzind« (1903), einer
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