Hesse-ABC
einzigen Feier franziskanischer
Naturfrömmigkeit, zieht es Hesse ebenfalls aufs Land. Soeben hat
er die Baseler Anwaltstochter und Fotografin Maria Bernoulli ge-
heiratet. 1904 lassen sie sich im kleinen Bodenseedorf Gaienhofen
nieder. Er folgt damit den Idealen Tolstois, Thoreaus und des eng-
lischen Sozialreformers William Morris, ein stadtfern-
naturverbundenes Leben zu führen. In seinem Streben nach Ur-
sprünglichkeit, Einfachheit und Natürlichkeit bleibt Hesse Rous-
seauianer. Jeder Schritt der zivilisierten Welt weg von der Natur
ist auch ein weiterer Schritt in die Entfremdung. So wohnt man
hier in einem kleinen Bauernhaus ohne elektrischen Strom. Das
Wasser muß vom Dorfbrunnen geholt werden. 1905 wird Hesses
erster Sohn Bruno geboren. Das einfache Leben erweist sich als
zunehmend beschwerlich und der schriftstellerischen Arbeit ab-
träglich. Darum kauft Hesse 1907 etwas abseits vom Dorf ein
Grundstück und läßt sich ein Haus bauen, in das die Familie 1907
einzieht. Hier hat Hesse auch das erste Mal einen eigenen Garten.
Den braucht die Familie auch, denn man lebt – trotz des Erfolgs
von »Peter Camenzind« – in beschränkten Verhältnissen. Hier wird
angebaut, um zu ernten: »Es war schön und lehrreich und wurde
doch am Ende zu einer schweren Sklaverei. Das Bauernspielen
war hübsch, solang es ein Spiel war: Als es sich zur Gewohnheit
und Pflicht ausgewachsen hatte, war die Freude daran vorüber.«
Ein Garten macht heimisch, aber er heilt nicht vom Fernweh. Hes-
ses Ehe ist unglücklich, er beginnt mehr und mehr zu reisen, der
Nomade in Hesse kämpft mit dem Gärtner – und gewinnt vorerst.
Als Hesse 1912 von seiner mehrmonatigen Südostasienreise
(»Hinterindien«) zurückkehrt, trägt er sich – noch unausgespro-
chen – mit dem Gedanken, Haus, Garten und Familie zu verlassen.
Vorerst zieht man noch gemeinsam nach ↑ Bern, in das Haus des kurz zuvor gestorbenen befreundeten Malers Albert Welti. Dort
fand er eine andere Art Garten vor – eher repräsentativ, ziemlich
vernachlässigt, das Haus dekorierend. An dieser Art Garten konnte
sich Hesse weniger gut inspirieren, hinzu kam der Ausbruch des
Ersten Weltkrieges, die kardinale Befindlichkeitsstörung aller
Gärtner.
1919 trennt er sich von der Familie und damit auch zwischenzeit-
lich von jeglichem eigenen Garten. Erst 1931, als er mit seiner
dritten Frau Ninon Dolbin eine enge Arbeitsbindung eingeht, mag
sich der Vierundfünfzigjährige neuerlich zu behauster Seßhaftig-
keit entschließen. Er nimmt das Angebot des vermögenden Arztes
H. C. Bodmer an und läßt für sich und Ninon ein Haus, die Casa
Rossa, bauen, in dem er lebenslanges Wohnrecht erhält. Hier wird
Hesse wieder zum Gärtner. Aber diesmal nicht mehr, um sich, wie
in Gaienhofen, aus ihm versorgen zu können, sondern: Er wird
ganz Gärtner, um ganz Dichter sein zu können. Der praktische
Grund ist zunächst ein gesundheitlicher. Nur kurze Zeit kann Hes-
se seine ↑ Augen noch belasten, er muß sich einen Ausgleich schaffen.
Halbe Tage bringt er nun im Garten zu. Am Abend vor seinem Tod
am 9. August 1962 hatte Hesse seiner Frau das Gedicht »Knarren
eines geknickten Astes« aufs Bett gelegt, an dem er die Tage zu-
vor gearbeitet hatte. Es zeigt uns den Dichter als vollkommenen
Gärtner. Das ist ein von der Hybris des Machens befreiter Bewah-
rer des Wachsenden und damit Schönen, ein immer noch am Le-
ben hängender und zu Faszination fähiger Träumer, selbst
angesichts des eigenen Endes: »Kahl, fahl, zu langen Lebens,/zu
langen Sterbens mild. / Hart klingt und zäh sein Gesang, / Klingt
trotzig, klingt heimlich bang/Noch einen Sommer, /Noch einen
Winter lang.«
Hesses Gärtnerleidenschaft zeigt von Anfang an den Romantiker,
der in der Natur das phantastische Reich einer unerschöpflichen
Formenvielfalt liebt. Ein Gärtner, das ist ein Liebhaber auf eng-
stem Natur-Raum. Dieser intimen Nähe ist er, wie in »Wande-
rung« beschrieben, ebenso gern geflohen, wie er sie auch wieder
gesucht hat. Um sich in sie zu vertiefen. Denn Vertrautheit und
Liebe ist für den Dichter ebenso eine unabdingbare Notwendigkeit
für seine Arbeit, wie jene Fremde, die Distanz schafft, den Blick
ganz neu und kalt macht. In diesem Paradox bewegt sich Hesse:
schreibend und mehr und mehr auch malend.
War Hesse ein vorbildlicher Gärtner? 1908 schreibt er in dem klei-
nen Text »Im Garten« von den Berufsgärtnern, die penibel
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