Hesse-ABC
Ernstnehmen nicht, wir lieben den Spaß.
Der Ernst, mein Junge, ist eine Angelegenheit der Zeit; er ent-
steht, soviel will ich dir verraten, aus einer Überschätzung der
Zeit. Auch ich habe den Wert der Zeit einst überschätzt, darum
wollte ich hundert Jahre alt werden. In der Ewigkeit aber, siehst
du, gibt es keine Zeit; die Ewigkeit ist bloß ein Augenblick, gerade
lang genug für einen Spaß.« Der Goethe aus dem Steppenwolf-
Traum wird im »Glasperlenspiel« gleichsam wiedergeboren: als
»Altmusikmeister« – als Vollendeter. Wie überhaupt das
↑ Kastalien des ↑ » Glasperlenspiels « ganz der ↑ » pädagogischen
Provinz« au s dem »Wilhelm Meister« nachempfunden ist.
Warum aber ist Goethes Gesicht das eines Chinesen? Weil Goethe
für Hesse das erfüllt, was Tschuang-Tse formuliert hat: »Der Voll-
endete versöhnt Yin und Yang, die die Ureinheit des Seins zer-
schneiden.« Hier transformiert sich das Ideal vom »androgynen
Adam«, das wir aus Jakob Böhmes Mystik kennen, in die Gestalt
des ↑ Hermaphroditen . Hesse vergleicht den alten Goethe mit Leo-nardo da Vinci. Von diesem strahle »ein ähnliches Geheimnis aus,
gefährlich lockend wie der Reiz eines Hermaphroditen ...«. Hinter
dieser Unio mystica, der Gottwerdung des Menschen und Ver-
menschlichung Gottes als Doppelbewegung, steht bei Hesse ein
pantheistisches Ideal: die Versöhnung von Geist und Natur – und
damit auch die Überwindung der Zweigeschlechtlichkeit des Men-
schen in einer höheren Einheit: dem »vollkommenen Menschen«.
Das ist die Verbindung der pietistisch-mystischen Tradition, die
Hesse vertraut ist, mit dem östlichen Denken in der Gestalt Goe-
thes: »Deshalb ist der greise Goethe nicht mehr das bürgerliche
Individuum Goethe, er ist kein Sammler und Minister, kein Dichter
und Literat, oder viel mehr: er ist das alles und noch mehr, er ist
das All, ist Universum, ist Tao.«
Goethestudien
Obwohl in Abwehr zu allem, was sich »klassisch«, also für die
Ewigkeit befestigt gibt, liebt Hesse den, der gemeinhin als größter
deutscher Klassiker gilt: ↑ Goethe. Für Hesse aber verkörpern die
»Leiden des jungen Werther« und der »Wilhelm Meister« immer
auch etwas Romantisches. Goethe gilt ihm als ein großer Mittler
von ↑ » Innen und Außen «. Hesses lebenslange Begeisterung für Goethe beginnt früh. Bereits als vierzehnjähriger Seminarist in
Maulbronn begründete er ein Klassenjahrbuch für Goethestudien.
Aber weil er nicht genug geeignete Mitarbeiter für ein solches
fand, ging dieses schnell wieder ein.
Gotama
Der Erleuchtete. Als erhabener ↑ Buddha sammelt er Sch üler um sich. Auch ↑ Siddharthas Jugendfreund ↑ Govinda folgt ihm. Bei
Siddhartha jedoch blitzt der Besitzer der göttlichen Wahrheit ab.
Siddhartha hält nichts von einer »Zuflucht zur Lehre«, denn er
glaubt nicht, daß sie mehr als Worte enthält. Das sagt er dem Go-
tama auch ins Gesicht: »Du hast die Erlösung vom Tode gefunden.
Sie ist dir geworden aus deinem eigenen Suchen, auf deinem ei-
genen Wege, durch Gedanken, durch Versenkung, durch Erkennt-
nis, durch Erleuchtung. Nicht ist sie dir geworden durch Lehre!
Und – so ist mein Gedanke, o Erhabener – keinem wird Erlösung
zuteil durch Lehre! Keinem, o Ehrwürdiger, wirst du in Worten
und durch Lehre mitteilen und sagen können, was dir geschehen
ist in der Stunde deiner Erleuchtung!« Hier steht Nietzsches »Fol-
ge nicht mir, folge Dir nach!« im Raume: die Selbsterziehung des
freien Geistes durch Erfahrung. Nur in der Intensität des Moments
scheint eine Identität von Ich-Wissen mit Welt-Wissen auf. Das ist
der mystische Punkt, um den Hesse kreist: Erkenntnis als Moment
der Erleuchtung, die das Kleinste mit dem Größten zusammen-
bringt!
Govinda
Der höchst eifrige Freund ↑ Siddharthas . Einer, der immer geführt werden will, sich bekennen und einer Lehre dienen will. Kein freier Geist, sondern ein Priester-Typus (wie auch der Klosterbruder
Narziß). Ein ewiger Seminarist, für den das Leben eine Schulauf-
gabe bleibt, die er mustergültig löst. Zudem unbedingt gutwillig.
Jedoch vermag so ein kreuzbraver Geist, der bei Siddharthas an-
archistisch-mystischen Reden immer ängstlich zusammenzuckt,
allein die aussprechbare Tagseite des Lebens zu verstehen, nie die
zu beschweigende Nachtseite. So fallen die Worte, die ihm Sidd-
hartha entgegenruft, auf unfruchtbaren Boden. Das Wissen, das
er, Siddhartha, zu
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