Hesse-ABC
isoliert veröden sie in Un-fruchtbarkeit. Seine offene Antwort an die selbsternannten Sach-
walter des Nationalen lautet im Jahre 1921: »Dies einseitige,
verbohrte Deutschtum, das von vielen Kanzeln und Kathedern
gelehrt wurde, das mit dem Kriege nicht zusammengebrochen
scheint, muss einem unendlich weiteren, elastischeren Deutsch-
tum Platz machen, wenn Deutschland nicht bis in die Ewigkeit
zwischen den Völkern der Welt einsam, verärgert und weinerlich
sitzen bleiben soll.«
Heilig
Nur der Landstreicher Knulp darf es uns sagen, und wir glauben
es ihm: »Jeder Mensch ist heilig, wenn es ihm mit seinen Gedan-
ken und Taten wirklich Ernst ist.«
Heimat
Heimat ist Ursprung. Das, wo man herkommt, und zugleich dasje-
nige, was zur ständigen Quelle des Neuen, noch Unbekannten
wird. Insofern hat Heimat für Hesse überhaupt nichts mit in Lan-
desgrenzen gefangener Nationalität zu tun. Am ehesten noch mit
grenzüberschreitenden Regionen. Darum erklärt er 1919 in seinem
»Alemannischen Bekenntnis« seine Liebe an jenen Rheinwinkel,
durch den die deutsch-schweizerische Grenze hindurchgeht, was
Hesse immer als eine künstliche Trennung empfand. In seinem im
gleichen Jahr geschriebenen Befreiungsbuch »Wanderung« geht
er noch weiter: »Heimat ist nicht da oder dort. Heimat ist in dir
innen, oder nirgends.« Eine Wanderertugend: Unterwegs sein.
Aber nicht aus unruhevoller Getriebenheit oder touristischem Un-
terhaltungssinn; sondern aus Sehnsucht nach Geborgenheit, die
sich nicht um die eigene Unbehaustheit betrügt. Hesse offenbart
sich als Mystiker, wenn er schreibt: »Wanderersehnsucht reißt mir
am Herzen, wenn ich ↑ Bäume höre, die abend s im Wind rauschen.
Hört man still und lange zu, so zeigt auch die Wandersehnsucht
ihren Kern und Sinn. Sie ist nicht Fortlaufenwollen vor dem Leide,
wie es schien. Sie ist Sehnsucht nach Heimat, nach Gedächtnis
der Mutter, nach neuen Gleichnissen des Lebens. Sie führt nach
Hause. Jeder Weg führt nach Hause, jeder Schritt ist Geburt, jeder
Schritt ist Tod, jedes Grab ist Mutter.«
Heimat ist hier Welteinverständnis inmitten des Weltwider-
spruchs. Das Sinngebende inmitten des Sinnlosen. Es ist Ich-
Bewußtsein, das zugleich Welt-Bewußtsein wird: »Wer gelernt hat,
Bäumen zuzuhören, begehrt nicht mehr, ein Baum zu sein. Er be-
gehrt nichts zu sein, als was er ist. Das ist Heimat. Das ist Glück.«
Heiraten
Drei Mal heiratet Hesse: Maria ↑ Bernoulli , Ruth ↑ Wenger und Ninon ↑ Dolbin. Erst bei der letzten fand er, was er sich erhoffte: menschlichen und geistigen Beistand in seiner künstlerischen Arbeit, die er über alles andere stellte. In einem Brief an Eugen Zel-
ler schreibt Hesse 1947: »Meine Heiraten sind nicht das in meinem
Leben, woran ich mit Freude, gutem Gewissen oder gar Stolz den-
ken könnte. Geboren und bestimmt zum Cölibatär hätte ich dabei
bleiben sollen, die Heiraten waren, wie alle Anpassungsversuche
ans Bürgerliche, gut gemeint, aber auch ohne sie hätte ich reich-
lich genug aufgepackt bekommen, um die von der Welt über die
Introvertierten verhängte Strafe zu haben.«
Hermaphroditos
Der vollkommene Mensch, der alle - auch die geschlechtlichen
Unterschiede – in sich überwindet. Ein durchaus ernstgemeintes
Ideal Hesses, das an Jakob Böhmes platonische Idee vom »andro-
gynen Adam« erinnert. Im Ursprung noch ungeteilt, zerfällt er in
Mann und Weib und muß nun in der Getrenntheit (Unvollkom-
menheit) leben, auf der Suche nach der Einheit mit sich selbst.
Hermes
Von seinem ersten selbstverdienten Geld in der Hek-
kerhauerschen Buchhandlung in Tübingen kauft Hesse sich 1895
einen Gipsabdruck des Hermes von Praxiteles. Was faszinierte ihn
daran? Hermes (Merkur) ist der bewirkende Gott. Eigentlich, auf-
grund seiner unreinen Herkunft, nur ein mit Botendiensten betrau-
ter Halbgott. Ein unsteter Weltenwanderer, der sich mit der
praktischen Sphäre einläßt: den Händlern und Dieben. Ein verach-
teter Außenseiter, aber von welch verführerischem Reiz, von wel-
cher Wandlungskraft! Darum auch betraut Jupiter ihn mit den
heikelsten Missionen. In zahlreiche Götterintrigen ist er verwickelt.
Er führt die Seelen in den Orkus, leiht Perseus den Flügelhelm, der
ihn in die Lüfte trägt. Als Seelenführer hat der den Namen Psy-
chopompus. Ein Unruhestifter. Mit Sinn für die höchsten Dinge
und vorzüglichem Aufenthaltsort bei den Niedrigsten und Verach-
tetsten. Einer,
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