Hesse-ABC
Wort gewe-
sen, das eines besonderen Schutzes vor Trivialisierung bedürfe.
»Unter Glück verstehe ich heute etwas ganz Objektives, nämlich
die Ganzheit selbst, das zeitlose Sein, die ewige Musik der Welt,
das, was andre etwa die Harmonie der Sphären oder das Lächeln
Gottes genannt haben.« Dieser Inbegriff unendlicher Musik ist
»reine vollkommene Gegenwart« – die Überwindung der Ge-
schichte, Zeitstillstellung im erfüllten Moment.
Goethe
Der Weise hat für Hesse das Gesicht eines Chinesen. Ein auf den
ersten Blick nicht leicht plausibles Bild des hierzulande als Inbe-
griff des Bürgerlichen und Klassischen Geltenden. Und doch läuft
es darauf hinaus in seinem »Dank an Goethe« von 1932: »Diese
Weisheit Goethes, die er selbst oft verhüllt, die ihm selber oft
wieder verloren gegangen schien, ist nicht mehr bürgerlich, ist
nicht mehr Sturm und Drang oder Klassizismus oder gar Bieder-
meier, sie ist sogar kaum mehr goethisch, sondern sie atmet ge-
meinsame Luft mit der Weisheit Indiens, Chinas, Griechenlands,
sie ist nicht mehr Wille und nicht mehr Intellekt, sondern Fröm-
migkeit, Ehrfurcht, Dienenwollen: Tao.«
Goethe also, kein Genie wie Hölderlin, Novalis, Kleist oder Nietz-
sche. Kein extremer, lebensuntauglicher Extremist des Geistes,
sondern ein großer Ausgleicher der Gegensätze: »War auch seine
Erscheinung je und je etwas bürgerlich, etwas bieder, etwas
beamtenhaft und allzu weit aus den Wildnissen Werthers entlau-
fen, so war das Format doch immer groß, und gemeint war immer
ein hohes Ziel, das edelste aller Ziele: die Ermöglichung und Be-
gründung eines vom Geist regierten Lebens, für ihn selbst nicht
nur, sondern für seine Nation und Zeit.« Doch ist Goethe kein Na-
tionalist und keiner, der als Repräsentant einer Zeit mit dieser
vergessen wird. Manchmal, schreibt Hesse, sei er ihm auch »rich-
tig fatal und peinlich gewesen«. Auch im von Hesse innigst gelieb-
ten »Wilhelm Meister« stünden die »wunderbarsten dichterischen
Seiten neben solchen von hoffnungsloser Dürre«. Was ist es also,
was ihn lebenslang mit diesem Dichter »Gedankengespräche und
Gedankenkämpfe« führen läßt? Auch das zeigt uns der »Wilhelm
Meister« an. Hier offenbart sich Goethes Ideal des »vollkommenen
Menschen«, dem Hesse nachstrebt: »Er teilt wohl mit dem Durch-
schnitt der Menschen die intellektuellen Gaben, ist aber durch
eine entschiedene Fähigkeit zur Menschenliebe und zu sittlichem
Handeln höhergerückt.« (1912) Goethe wird Hesse auch darum mit
den Jahren immer wichtiger, weil man mit Goethe nicht in den
Krieg ziehen kann.
Er eignet sich einfach nicht fürs falsch patriotische Pathos. Mit
Goethe kann man niemand zum nationalen Größenwahn treiben,
zum Fanatiker machen. Hesse in seinem schriftlichen Einspruch
gegen die deutsche Kriegsideologie »O, Freunde, nicht diese Tö-
ne« nach dem Kriegsausbruch 1914: »Goethe war nie ein schlech-
ter Patriot, obwohl er Anno 1813 keine Nationallieder gedichtet
hat. Aber über die Freude am Deutschtum, das er kannte und lieb-
te, ging ihm die Freude am Menschentum. Er war ein Bürger und
Patriot in der internationalen Welt des Gedankens, der inneren
Freiheit, des intellektuellen Gewissens, und er stand in den Au-
genblicken seines besten Denkens so hoch, daß ihm die Geschich-
te der Völker nicht mehr in ihrer Einzelwichtigkeit, sondern nur
noch als untergeordnete Bewegungen des Ganzen erschienen.«
Neben Mozart spielt auch Goethe im »Steppenwolf« eine ausge-
zeichnete Rolle. Im Grunde kann man den ganzen »Steppenwolf«
als einen verkappten Goethe-Mozart-Roman lesen. Im Traum sieht
sich hier Harry Haller bei einer Audienz dem alten Goethe gegen-
über. Im Goethe-Museum am Frauenplan: »Da stand der alte Goe-
the, klein und sehr steif, und richtig hatte er einen dicken
Ordensstern auf seiner Klassikerbrust. Immer noch schien er zu
regieren, immer noch in Audienz zu empfangen, immer noch die
Welt aus seinem Weimarer Museum her zu kontrollieren.« Haller
will ihn mit Anklagen und Vorwürfen überhäufen: »Sie sind uns zu
feierlich, Exzellenz, und zu eitel und wichtigtuerisch und zu wenig
aufrichtig.« Goethe schaut entrückt und belustigt und flüstert sei-
nem verwirrten Ankläger ins Ohr: »Mein Junge, du nimmst den
alten Goethe viel zu ernst. Alte Leute, die schon gestorben sind,
muß man nicht ernst nehmen, man tut ihnen sonst Unrecht. Wir
Unsterblichen lieben das
Weitere Kostenlose Bücher