Hesse-ABC
Dienst und Opfer, als Gemeinschaft und Aufgabe war -
die konfessionellen und zum Teil sektiererischen Formen, in de-
nen wir Kinder es kennenlernten, wurden mir schon sehr früh ver-
dächtig und zum Teil ganz unausstehlich«. Die Geschichte der
protestantischen Kirchen sei »um nichts edler« als die der »ge-
schmähten päpstlichen Kirche«.
Im Laufe seines Lebens hätten sich die Formen des Religiösen oft
verändert, »niemals plötzlich im Sinn einer Bekehrung, stets aber
langsam im Sinn von Zuwachs und Entwicklung«. Und dann be-
rühren sich östliche und westliche Glaubensformen: »Daß mein
›Siddhartha‹ nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe obenan stellt,
daß er das Dogma ablehnt und das Erlebnis der Einheit zum Mit-
telpunkt macht, mag man als ein Zurückneigen zum Christentum,
ja als einen wahrhaft protestantischen Zug empfinden.«
Das Konfessionelle interessiert Hesse nicht, alle Institutionen
funktionieren gleich: durch Intrige, Gewalt, Korruption und das
»Ketzermachen«, also das Produzieren von Außenseitern, die als
Sündenböcke für Funktionsstörungen in den Institutionen herhal-
ten müssen.
Nach der Erfahrung des geistigen Indiens kam für Hesse China:
»Der klassische chinesische Tugendbegriff, der mir Kung Fu Tse
und Sokrates als Brüder erscheinen ließ, und die verborgene
Weisheit des Lao Tse mit ihrer mystischen Dynamik haben mich
stark beschäftigt.« Es führt Hesse zu einem »mystischen Christen-
tum«: der Vermenschlichung Gottes bei gleichzeitiger Vergöttli-
chung des Menschen. Ein unmittelbares Wissen, das er nicht
»ohne Konflikte, aber doch ohne Krieg neben einer mehr indisch-
asiatisch gefärbten Gläubigkeit« in sich trägt, deren »einziges
Dogma der Gedanke der Einheit ist«.
Den Weg allen echten Glaubens, der zum verbindenden Ineins von
Selbst- und Welterkenntnis wird, hat Hesse in dem Traktat »Ein
Stückchen Theologie« (1932) so zusammengefaßt: »Der Weg führt
aus der Unschuld in die Schuld, aus der Schuld in die Verzweif-
lung, aus der Verzweiflung entweder zum Untergang oder zur Er-
lösung: nämlich nicht wieder hinter Moral und Kultur zurück ins
Kinderparadies, sondern über sie hinaus in das Lebenkönnen kraft
seines Glaubens.«
Glück
Hesse stellt sich in dem kleinen 1904 in Gaienhofener Idylle (dem
ersten Ehejahr mit Maria Bernoulli) entstandenen Text »Wenn es
Abend wird« die Frage, ob er eigentlich glücklich sei. Noch ant-
wortet er hier nicht wie später drastisch mit dem Theologen Chri-
stoph Schrempf: »Wenn man mich mit der verdammten Pflicht:
glücklich zu sein verschont, kann ich ganz leidlich leben.« Nein,
Hesse sucht ernsthaft nach Antwort. Denn etwas unbehaglich ist
ihm bereits, so bürgerlich befestigt, nach dem Erfolg des »Peter
Camenzind«, im eigenen (wenn auch nur gemieteten) Haus, als
Ehemann und arrivierter Dichter: »Glück ist ja nichts, ein Wort, ein
Unsinn; es kommt auf anderes an.« Er weicht der Frage aus und
denkt anstatt dessen über seine »frohesten Tage« nach. Der Sie-
benundzwanzigjährige blickt zurück wie ein alter Mann, der alles
hinter sich hat, spricht vom »Andenken dunkler Tage«, die auch
ein »schönes heiliges Besitztum sind«. Da schwingt viel
Melancholie mit. Seine Frau ist auch da, spielt etwas Klavier –
↑ Chopin! -, geht dann mit der Frage: »Du bleibst noch auf?« allein ins Bett. Ja, der Dichter bleibt schlaflos wach und sinnt darüber,
daß die »Kunst der Erinnerung die erste aller Künste« sei. In
einem zweiten ebenfalls 1904 entstandenen, »Im Philisterland«
überschriebenen Text wird er deutlicher. Des öfteren befalle ihn
»Zorn über dieses bequeme Hinleben«, das nicht glücklich ist.
Wenn er aus dem Fenster blickt, überfällt ihn die Sehnsucht nach
Ferne: »... und ich gäbe mein bißchen Haus und Glück und
Behagen gern für einen alten Hut und Ranzen, um noch einmal die
Welt zu grüßen und mein Heimweh über Wasser und Land zu
tragen.« Das Fazit des jungen, so schnell zu Erfolg und
Bürgerlichkeit gekommenen Dichters ist bitter: »Ich dachte daran,
was wir alle einst als Knaben, als kühne, freche Knaben, vom
Leben als unser gutes Recht erwarteten. Und wie verzweifelt
wenig davon wahr geworden ist.« Fast ein halbes Jahrhundert
Fast ein halbes Jahrhundert später, 1949, hat Hesse dann eine
kleine Betrachtung unter dem Titel »Glück« geschrieben. Glück,
bekennt er hierin, sei für ihn immer ein »festliches«
Weitere Kostenlose Bücher