Hesse-ABC
nach Kriegsende erreichte das »Glasperlenspiel« seine Leser
in Deutschland. Alle Fragen der literarischen Bewertung traten
einen Augenblick zurück hinter der erregenden geistigen Ausein-
andersetzung, die Hesses Alterswerk bot und verlangte.« Das ist
wohl der Schlüssel zu einer gerechten Beurteilung dieses merk-
würdigen Buches. Denn es enthält immer noch Glasperlen. Und
die Ahnung, daß wir uns am Endpunkt einer Entwicklung befin-
den, der eine bis zum Grunde gehende Besinnung auf unsere kul-
turellen Bestände unausweichlich macht, sie ist für uns noch
drängender als für Hesse geworden, der in seiner Kritik des »feuil-
leto-nistischen Zeitalters« resümiert: »Aber so leicht es ist, belie-
bige Abschnitte der Vergangenheit in die Weltgeschichte schön
und sinnvoll einzuordnen, so unfähig ist jede Gegenwart zu ihrer
Selbsteinordnung, und so griff damals, bei raschem Sinken der
geistigen Ansprüche und Leistungen bis zu einem sehr beschei-
denen Niveau, gerade unter den Geistigen eine furchtbare Ver-
zweiflung und Unsicherheit um sich. Soeben hatte man entdeckt
(eine seit Nietzsche schon da und dort geahnte Entdeckung), daß
es mit der Jugend und der schöpferischen Periode unserer Kultur
vorüber, daß das Alter und die Abenddämmerung angebrochen
sei, und aus dieser plötzlich von allen gefühlten und von vielen
schroff formulierten Einsicht erklärte man sich so viele beängsti-
gende Zeichen der Zeit: die Mechanisierung des Lebens, das tiefe
Sinken der Moral, die Glaubenslosigkeit der Völker, die Unechtheit
der Kunst.« Hesse hört nun wie in einem alten chinesischen Mär-
chen die »Musik des Untergangs« – einer Welt, die aus ihrer Ba-
lance gekippt ist. Inbegriff einer solchen formlos-dekadenten
Musik der viel zu vielen Töne sind für ihn Brahms und vor allem
↑ Wagner.
Wie kann sich der Einzelne zu dem Harmonieverlust der ihn um-
gebenden Welt – das Zunehmen von Entfremdung – verhalten?
»Es gab verschiedene Haltungen diesem eingedrungenen und
nicht mehr hinwegzuzaubernden Feinde gegenüber. Man konnte
die bittere Wahrheit schweigend erkennen und sie stoisch ertra-
gen, das taten manche der Besten. Man konnte sie wegzulügen
versuchen, und dazu boten die literarischen Verkünder der Lehre
vom Untergang der Kultur manchen bequemen Angriffspunkt...
Außerdem gab es gegen die große Untergangsstimmung noch die
zynische Haltung, man ging tanzen und erklärte jede Sorge um die
Zukunft für altväterliche Torheit, man sang stimmungsvolle Feuil-
letons über das nahe Ende der Kunst, der Wissenschaft, der Spra-
che...« Letzteres ist die Hesse nun selbst etwas verantwortungslos
scheinende amoralische »Steppenwolf«-Welt des »magischen
Theaters«, des Lachenlernens über die Dummheit der Welt. Hesse
hatte in seinen ↑ Züricher Win tern der zwanziger Jahre sich verzweifelt-vergnügungssüchtig ins Nachtleben gestürzt und auch
Tanzen gelernt. Das alles, die so heiter wie möglich vollführte Ver-
zweiflungsgebärde, sie reicht Hesse nicht mehr: Er will nach so
vielen Fragen endlich auch Antworten. Die findet er nun etwa bei
↑ Goethe in der ↑ » pädagogischen Provinz « und bei ↑ Laotse. So is t es wiederum Hesses große Alterseinsicht, daß allein die ↑ Musik
als Spiegel der Weltharmonie eine kulturelle Heilung im Sinne
einer Unio mystica herbeizuführen vermag.
Glaube
Seine Bekenntnisschrift »Mein Glaube« hat Hesse 1931 verfaßt.
Hier faßt sich seine ganze Glaubenserfahrung zusammen, die zu-
gleich eine Erfahrung der Glaubensskepsis ist. Nein, ein konfes-
sionelles Glaubensbekenntnis will Hesse nicht ablegen, alle Kirche
ist ihm fremd bis verhaßt. Auch um Dogmen und Rituale kümmert
er sich wenig. Gleich zu Beginn verweist er auf ↑ » Siddhartha «:
»Ich habe das geistige Indertum ganz ebenso von Kind auf einge-
atmet und miterlebt wie das Christentum.« Es war ein Hauch von
weiter exotischer Welt, der da aus der großväterlichen Gundert-
Welt in den engen pietistisch-protestantischen Missionshaushalt
der Eltern voller Verbote und Bigotterien wehte und Hesse ein
Gefühl von überlegener Freiheit gab – »meine Phantasie hatte
Raum«, schreibt er. Die Absage an die Religiosität der Eltern, de-
ren »königliche Armut« und »offene Hand für das Elend, ihre Brü-
derlichkeit gegen Mitchristen« er bewunderte, ist rigoros. Denn so
»groß und edel dies Christentum meiner Eltern als gelebtes Le-
ben, als
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