Hesse-ABC
die eifrig einem zum »Klassiker des
Deutschtums« avancierten Julius Langbehn mit seinem verblase-
nen, die »Volksgemeinschaft« beschwörenden Machwerk »Rem-
brandt als Erzieher« (1890) hinterherlaufen. Zwei konkurrierende
Wege, die aus der deutschen ↑ Romantik führ en. Klingsor verweigert sich jedem Nationalismus. Ihm entspricht vielmehr ein Ideal-
Bild vom Künstler, der vor der Aufgabe steht, geistiger Schöpfer
und Bewahrer zugleich sein zu sollen. Klingsor überwindet in sich
sein traditionales Woher in einem poetisch-universalen Wozu,
wird zum Selbstbefreier, der jede Form der nationalen Überhe-
bung in weltbürgerlicher Weise zurückläßt.
Knecht, Josef
Welch ein Name! Aber er ist von Hesse ebenso wenig ironisch
oder abwertend gemeint wie der Hermann Lauschers im Früh-
werk. Denn es geht ums Dienen, um Autorität und Hierarchie.
Knecht ist wie zuvor schon Peter Camenzind, Demian, Knulp,
Siddhartha oder Harry Haller eine mythische Figur: Projektionsflä-
che einer Idee! Im ↑ » Glasperlenspiel«, de ssen Meister Josef Knecht ist, lautet sie: Die Wahrheit muß gelebt, nicht doziert werden. Der Tod Josef Knechts wird zum Teil dieser Lebenslehre: Der
Einzelne geht unter, um in einem Ganzen wiedergeboren zu wer-
den. So waren einst der Schüler Hans Giebenrath und der Ange-
stellte Klein ertrunken. Versinkend wendet sich verfehltes Leben
an den Ursprung aller Bewegung zurück: das Fließen. Hier wird
Leben zur Legende stilisiert. Hesses größter Vorzug wie seine
größte Schwäche liegen (wenn er nicht über sich selbst spricht)
hierin: in der Sinnbildlichkeit seiner Figuren. Denn der Mensch ist
ihm immer nur ein Versuch, ein Unterwegs, das sein Ebenbild im
Wanderer findet. Schon in der ↑ Morgenlandfahrt waren diese Themen, die den anarchistischen ↑ Steppenwolf kontrastieren, hervorgetreten: Ein Ruf nach neuer geistiger Ordnung, nach Befreiung des einsamen Virtuosen in einer dem Ganzen dienenden
Gemeinschaft! Mit Josef Knecht wird es offenbar: »Und nun be-
ginnt im Gemüt mir/Ein Gedankenspiel, dessen ich mich schon
seit Jahren befleiße,/Glasperlenspiel genannt, eine hübsche Erfin-
dung,/Deren Gerüst die Musik und deren Grund die Meditation ist.
/Josef Knecht ist der Meister, dem ich das Wissen um die-
se/Schöne Imagination verdanke. In Zeiten der Freude/ Ist sie mir
Spiel und Glück, in Zeiten des Leids und der Wirren/Ist sie mir
Trost und Besinnung, und hier im Feuer, beim Siebe,/Spiel ich es
oft, das Glasperlenspiel, wenn auch noch längst wie Knecht
nicht.«
Knulp
Der Bericht eines verfehlten Vagabunden-Lebens. Ein begabter
Mensch bringt es zu nichts. Aber liegt darin nicht auch eine
Kunst? Knulp ist einer, der unterwegs bleibt. Der den Becher aus-
kostet bis zum Schluß. Der sich nicht einfangen läßt durch Beruf,
Ehre, Würde, Familie und Geld. Der die Sehnsucht in sich wach-
hält. Dunkler Trieb der Sinne und hellste Geistigkeit liegen in
Knulp im Streit miteinander, treiben ihn ziellos über die Landstra-
ße, lebenslang. Knulp ist der Inbegriff des romantischen Künst-
lers, wie ihn Hesse hier, im Jahre 1915 auffaßt: als Selbstporträt.
Ein Gescheiterter, der sich nicht vorstellen kann, wie man am Le-
ben nicht scheitern kann, wenn man sich nicht selbst verleugnet.
Knulp sieht die Lüge in der Bürgerwelt um sich herum und auch,
daß Amt und Würden wenig zu schützen vermögen vor großem
Unglück im Leben. Jeden Tag neu muß man wieder ganz von vorn
beginnen zu leben. Das ist die Perspektive des Wanderers, des
Außenseiters, der nirgendwohin gehört und der, wie Knulp, den
Leidenspreis seiner Freiheit willig zahlt. Das eröffnet ihm aber
einen Blick auf die Dinge, der die Grenze von ↑ lnnen und Außen
überwindet und augenblickshaft zum magischen Ineins von Sin-
nen und Geist steigert: »Ich denke, das Schönste ist immer so,
daß man dabei außer dem Vergnügen auch eine Trauer hat oder
eine Angst.« Quelle des lebenslangen Wanderns ist bei Knulp eine
erste unglückliche Liebe, ein früher Verrat, der ihm alle Menschen
in eine ihm unerreichbare Ferne brachte. Knulp im Schnee lie-
gend, vom Todesschlaf übermannt, führt eine Unterhaltung mit
Gott. Dieser rät ihm, zufrieden zu sein mit seinem Leben, wo er
doch immer ein Stück »Kindertorheit« mit sich getragen und es
sich bis zum Schluß nicht hat nehmen lassen. »Kannst du wirklich
nicht sehen, daß alles gut und richtig zugegangen ist und daß
nichts
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