Hesse-ABC
über das
Ungenügen jeder Form von »Totalitarismustheorie« – schreibt
Hesse 1950 an einen Leser: »Wir dürfen Hitler und Stalin oder
vielmehr... Faschismus und Kommunismus nicht in einen Topf
werfen. Der faschistische Versuch ist ein rückläufiger, unnützer,
törichter und gemeiner Versuch, der kommunistische Versuch
aber ist einer, den die Menschheit machen mußte ...«
Königin der Gebirge
Ruth ↑ Wenger lernt Hesse am 24. Juli 1919 bei einem Ausflug nach Carona kennen. Sie wohnt dort in der Casa Constanza, dem
Papageienhaus. Hesse schildert die Begegnung mit seiner späte-
ren zweiten Frau in »Klingsors letzter Sommer«, im Kapitel »Der
Kareno-Tag«: »Die Freunde kannten eine junge Dame, die hier
oben hauste, und Klingsor freute sich auf den Besuch bei der Un-
bekannten sehr. Er nannte sie die Königin der Gebirge. Im Halb-
schatten eines Fensterbogens sah Klingsor lautlos eine Gestalt
stehen, ein schönes Mädchen, schwarzäugig, rotes Kopftuch um
schwarzes Haar. Ihr Blick, still nach den Fremden lauernd, traf den
seinen, einen langen Atemzug lang schauten sie, Mann und Mäd-
chen, sich in die Augen, voll und ernst, zwei fremde Welten einen
Augenblick lang nah. Dann lächelten sich beide kurz und innig den
ewigen Gruß der Geschlechter zu... ›Eine Sekunde lang empfand
ich aufzuckend: Wäre ich zehn Jahre jünger, zehn kurze Jahre, so
könnte diese mich haben, mich fangen, mich um den Finger wik-
keln.‹« Hesse ahnt es schon, inmitten heftiger Leidenschaft, die
ihn im rauschhaft-südlichen Sommer (dem ersten in Montagnola!)
überfällt: Es sind zwei allzu fremde Welten. Die Ehe mit Ruth
Wenger scheitert schnell. Doch jetzt im Sommer 1919 nimmt Hes-
se die mädchenhaft-exotische Fremdheit Ruth Wengers gefangen.
Krisis
Hesse schenkte das Manuskript im Frühjahr 1927, noch vor dem
Erscheinen des »Steppenwolfs«, seinem Verleger Samuel Fischer.
Es trug den Titel »Krisis. Ein Stück Tagebuch mit Gedichten«, In
dem Manuskript waren auch die 1926 in der »Neuen Rundschau«
veröffentlichten »Steppenwolf-Gedichte« enthalten. Fischer ließ
das Manuskript, von dem er sehr ergriffen war, 1928 in sehr klei-
ner Ausgabe (fast ein Privatdruck) von 1150 Stück drucken.
»Krisis« zeigt einen »Mann von fünfzig Jahren«, der sich in einer
tiefen Lebenskrise befindet. Hesse selbst nennt es eine jener
»Etappen des Lebens, wo der Geist seiner selbst müde wird, sich
selbst entthront und der Natur, dem Chaos, dem Animalischen
das Feld räumt«. Er sieht sein Leben im Zwiespalt von Geist und
Sinnlichkeit gefangen: »Ich verstand mich auf das Geistige im wei-
testen Sinne besser als auf das Sinnliche«, konstatiert er, und das
kommt ihm nun wie ein schwerer, vielleicht tödlicher Irrtum sei-
nes Lebens vor. Vielleicht ist es noch nicht zu spät, ihn zu korrigie-
ren? Und er geht daran, die bislang sorgsam vor sich und anderen
verborgenen dunklen Seelen-Ecken und Trieb-Winkel auszuleuch-
ten. Allerdings: »... ich gestehe, daß meine Aufrichtigkeit hier
noch bedeutende Löcher hat, daß ich in diesem Büchlein eine An-
zahl von Gedichten weggelassen habe, weil ihre Mitteilung mei-
nem Selbstgefühl allzu weh getan hätte.« Was wir lesen, ist
dennoch auf drastische Weise schonungslos gegen sich selbst. Es
ist das Selbstporträt des Künstlers als geiler Bock. Auf komische
Weise kontrastieren die verzweifelten Inhalte hier den Hesse in
Gedichten eigentümlichen Volksliedton, der gelegentlich schon
ans Volkstümliche aus der Kunstgewerbeabteilung streift. Im
»Sterbelied eines Dichters« heißt es: »Liege bei jungen Wei-
bern,/Reibe meinen Leib an ihren Leibern,/Kriege sie satt und
drücke ihnen die Gurgel zu, / Dann kommt der Henker und bringt
auch mich zur Ruh.« Ein Gedicht ist überschrieben: »Zu Johannes
dem Täufer sprach Hermann der Säufer«. Das ganze Dilemma, in
dem sich Hesse als Dichter sieht, spricht sich in den Versen aus:
»Ich bin einmal ein Dichter gewesen/Jetzt kann ich nur noch Knit-
telverse machen.« Und wie zur Probe auf die lyrische Selbstpeini-
gung schreibt er im Gedicht »Steppenwolf«: »Ich Steppenwolf
trabe und trabe, / Die Welt liegt voll von Schnee, Vom Birkenbaum
flügelt der Rabe,/Aber nirgends ein Hase, nirgends ein Reh! / In
die Rehe bin ich so verliebt, / Wenn ich nur eins fände!« Das sind,
selbst wenn man einen Gutteil – unbeholfener – Selbst-Parodie in
Rechnung stellt, alles in allem schon Beichten,
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