Hesse-ABC
hätte anders sein dürfen? Ja, möchtest du denn jetzt ein
Herr oder ein Handwerker sein und Frau und Kinder haben und am
Abend das Wochenblatt lesen? Würdest du nicht sofort wieder
davonlaufen und im Wald bei den Füchsen schlafen und Vogelfal-
len stellen und Eidechsen zähmen?«
Köhler
Halb im Scherz zwar, aber doch treffend die Bezeichnung Ninons
für Hesses Leidenschaft, Reisig im Garten zu verbrennen, davor zu
hocken und stundenlang ins erst auflodernde, dann langsam ver-
löschende Feuer zu starren: eine Quelle der Meditation. Das ver-
nichtende und zugleich reinigende Feuer, das wärmt und
verbrennt, erleuchtet und blendet. Für einen Mythologen wie Hes-
se, den Liebhaber von Paradoxen und Allegorien, ein guter Platz,
so nah am Feuer: diesem gefährlichen Ort der Verwandlung. Von
Phönix gar nicht zu reden... Zuletzt ist auch die Arbeit des Dichters
eine Köhlerarbeit. Wenn nicht alles verbrennt, etwas übrigbleibt,
womit andere anderswo sich wieder ein Feuer machen können.
Kohlrabi-Apostel
Hesse birgt zeitlebens extreme Möglichkeiten in sich. In seiner
Bodensee-Zeit ab 1903 fühlt er sich der Stadt-Flucht-Bewegung
nahe und übt sich in Askese, die jedoch immer wieder auch von
Ausschweifungen wirkungsvoll kontrastiert wird. Aber Hesses
Distanz zur Stadt und zur urbanen Existenz bestimmt sein ganzes
Leben, wenn auch in zunehmend »zivilisierter« Form. Zu der Zeit
aber, als die »Sonnenbrüder aus Ascona« durchs Dorf ziehen und
auch Hesse von der Idee des »einfachen Lebens« fasziniert ist,
übertreibt er es, zum Leidwesen seiner Frau Maria Bernoulli, ge-
waltig mit der Askese. Er ißt nicht nur fleischlos, sondern verwei-
gert auch Milch, Käse und Eier. Unter diesen Umständen ist er
körperlich und psychisch bald so angegriffen, daß der Land-
schaftsmaler Rudolf Sieck, auf Besuch bei Hesse, entsetzt ausruft:
»Kohlrabi-Apostel! An Kohlrabi-Apostel sans!« Glücklicherweise
dauert diese Phase der extremen Askese nicht so lang, und bald
sieht man ihn auf Fotos wieder kennerhaft ein Glas Wein in die
Höhe halten oder genußvoll an der Zigarre ziehen.
Kommunismus
Dem Gedanken des Kommunismus als Korrektiv einer utopielos-
kapitalistischen Gesellschaft stand Hesse sehr freundlich gegen-
über. Auch weil ihm dessen Internationalismus sehr viel näher
war als der ihm verhaßte Nationalismus. Zudem sah Hesse in der
kommunistischen Utopie einer Menschheitsverbrüderung die
Fortsetzung der christlichen Liebesreligion mit politischen Mitteln.
Zu jeder Form von Parteipolitik ging Hesse jedoch auf Distanz: Die
moralische Idee des Kommunismus war ihm wichtiger als ihre
notwendig mißglückenden gewaltsamen Verwirklichungsformen
(die den Charakter von Zivilisationsbrüchen bekommen). Immer
wieder hat sich Hesse in der Auseinandersetzung mit dem ihm
verhaßten Nationalismus zum Kommunismus geäußert: was er an
dieser Idee schätzt und weshalb er sie trotzdem nicht teilt. An sei-
ne Frau Ninon schreibt er 1931 in einem Brief: »Wieder entdecke
ich, wie nahe ich dem Kommunismus stehe, einfach der Gerech-
tigkeit wegen. Ließe er sich ohne Flinten und Kanonen verwirkli-
chen, wäre ich gern dabei.« Aber Hesse ist keiner, der einer Lehre
anhängt. Im ↑ » Glasperlenspiel« h at er geschrieben, daß es um Selbstvervollkommnung gehe, nicht um die Befolgung einer Lehre. Hier zeigt sich die Nähe Hesses zur Mystik, die jede Form von
Doktrin per se ausschließt und in der politischen Konsequenz im-
mer eine Form von Anarchismus wird. In seinem Entwurf des
»Briefes an die Kommunisten« vom November 1931 heißt es:
»I) Für Kommunismus bin ich mit dem Herzen, denn immer hat
der Unterdrückte, nie der Unterdrücker meine Liebe gehabt, bei
jedem Prozeß war mein Mitgefühl beim Angeklagten, nie beim
Richter. Versteht sich das heute noch von selbst?
II) Ich glaube auch mit dem Verstand an den Kommunismus, d. h.
ich bin überzeugt, daß die kapitalistische Wirtschaftsform und
Gesellschaftsordnung überlebt und schwerkrank und dem Unter-
gang nahe ist. Ich tue nichts, um sie zu stützen. Leider wird in vie-
len Ländern, auch in Deutschland, der Umwälzung wohl eine
Welle weißen Terrors vorangehen.
III) Daß ich dennoch selbst nicht aktiver Kommunist geworden bin,
hat 3 Gründe. Der erste und für mich entscheidende ist: Ich bin
persönlich unfähig, mich einer Partei einzureihen ...« Über die
Nichtvergleichbarkeit von Hitler und Stalin – und damit
Weitere Kostenlose Bücher