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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
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schreibe »dieser deutschböhmische Jude eine ganz mei-
    sterhafte, kluge, bewegliche deutsche Prosa«.
    Kafka kommt als tragischer Dichter von sehr weit her, von Pascal
    und Kierkegaard. Und ist doch auf exemplarische Weise ein Be-
    wohner des 20. Jahrhunderts. Ein tiefer Zweifel hat ihn befallen,
    ob der Mensch inmitten seiner technischen und bürokratischen
    Aufrüstung überhaupt Mensch zu bleiben vermag. Hesse sieht in
    Kafka einen mystischen Gottsucher in einer entgöttlichten und
    darum auch bald entmenschten Welt, die er mit schneidender Käl-
    te inmitten eines sich in Apokalypse verwandelnden Alltags be-
    schreibt: »Kafka gehört zu den Vereinsamten und Problematikern
    seiner Epoche, zu denen, welchen ihre eigene Existenz, ihre Gei-
    stigkeit und ihr Glaube zuzeiten tief fragwürdig erschienen. Vom
    Rande einer Welt, die sie nicht mehr zu den ihren zählt, blicken
    solche Existenzen ins Leere, ahnen zwar jenseits das Geheimnis
    Gottes, sind aber zuzeiten tief von der Fragwürdigkeit und Uner-
    träglichkeit der eigenen Existenz, und weiter noch: vom Unglau-
    ben an die menschliche Existenz überhaupt, durchdrungen. Von
    da ist zur Selbstverurteilung nur noch ein kleiner Schritt, und den
    Schritt tat der kranke Dichter, als er über sein Werk das Todesur-
    teil sprach.«

    Kamala
    Kurtisane, die ↑ Siddhartha zur Lehr meisterin in der sinnlichen Liebe wird.

    Kandy
    Ort auf der Insel Ceylon, den Hesse besucht. Schon familienbe-
    dingt durch den Großvater Hermann Gundert ist Hesse ein großer
    Verehrer Indiens und begibt sich 1911 auf seine erste und einzige
    ↑ lndienreise. Wie so o ft hält das Traumbild die Übersetzung in die Realität nicht aus. Diese Reise wird zum Trauma. Denn Hesse mit
    seiner empfindlichen Konstitution und seiner übergroßen Emp-
    findlichkeit erträgt Hitze, Schmutz und Bettelei nicht. Mit seiner
    Reisenotiz »In Kandy« hat er sich selbst als Indienreisender ironi-
    siert und schlägt einen harschen Ton der englischen Kolonial-
    macht gegenüber an:»... Engländer sind reich und sind geniale
    Kolonisatoren, und es macht ihnen ein Hauptvergnügen, dem Un-
    tergang der von ihnen erdrückten Völker zuzuschauen. Denn die-
    ser Untergang geht überaus human, freundlich und fröhlich vor
    sich, er ist kein Totschlagen und nicht einmal ein Ausbeuten, son-
    dern ein stilles, mildes Korrumpieren und moralisches Erledigen.«

    Kastalien
    Ein Staat im Staate. Eine Art säkularer Kirche. Das idealisierte
    Maulbronner Seminar, oder gar eine aufs Musische spezialisierte
    Kadettenanstalt? Eher ein Experiment auf Goethes »pädagogische
    Provinz«. Irgendwo im geschichtlichen Niemandsland zwischen
    Jesuitenstaat in Paraguay und Fichtes »Geschlossenem Handels-
    staat«. Science-fiction. Ein Rückblick aus dem 22. ins 20. Jahrhun-
    dert. Eine Zukunft wie aus dem Antiquariat schwebt Hesse da vor.
    Denn dieses Kastalien, so zukünftig es auch gedacht ist, es scheint
    schon wieder von gestern. Ein sinkendes Ideal, dekadent beinahe
    in seiner überzüchteten Geistigkeit. Hans Mayer hat sich bei
    Kastalien sofort an die Schweiz erinnert, diese Insel inmitten des
    europäischen Wahnsinns und der Zerstörung zwischen 1933 und
    1945. Aber Hesses Kastalien scheint merkwürdig konturlos, wie im
    luftleeren Raum und über dem Wasser der realen Geschichte
    schwebend. Eine Verteidigung des der Tagesideologie widerste-
    henden Geistes. Ein asketisches Ideal allerdings, das bewußte
    Beschränkung predigt. Die Heiterkeit, die sich jede Sehnsucht ver-
    sagt, wirkt in seinem Historismus des leidenschaftslosen Rück-
    blicks selbst ein wenig beliebig, glasperlenspielerhaft.
    Kastalien erwehrt sich des ↑ »feuilletonistischen Zeitalters «. Sind gute Feuilletons so furchtbar, daß man sie zur Negativfolie eines
    neuen großen Ernstes voller Pathos machen sollte? Aber Hesse
    meint hier das, was wir inzwischen die »Postmoderne« nennen,
    eine Zeit ohne Mitte, ohne verbindende Idee, die in viele kleine
    Einfälle (Feuilletons) zerfällt: Dekadenz. In Hesses Zukunftsstaat
    dagegen geht es sehr mittelalterlich zu. Orwell scheint hier längst
    wieder in die zweite Buchreihe der Antiquariate gerückt zu sein,
    oder hat sich auf so vollkommene Weise verwirklicht, daß seine
    Anti-Utopie zum bloßen vergessensbereiten Ornament der herr-
    schenden Kultur herabgesunken ist. Hesses Kastalien besteht wie-
    der aus Zünften, das Mittelalter, das er im »Kurzgefaßten
    Lebenslauf« nach dem baldigen Ende der Neuzeit

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