Hesse-ABC
op-
poniert der Anarchist in ihm vehement. Die Massageten aber, Be-
wohner gleichnamiger Erzählung, haben sich im Unfreisein
eingerichtet, wohnen in einem Werbeprospekt selbstverliebter
Macht.
Maulbronn
Ein ehemaliges Zisterzienser-Kloster, Kaderschmiede Württem-
bergs. Eine von vier Internats-Stiftsschulen im Lande, die auf die
Aufnahme ins Tübinger Stift vorbereiten sollten. Dem abstrakt-
klassischen Bildungsideal verpflichtet, lag der schulische Schwer-
punkt auf den Altsprachen Latein und Griechisch. Die Schlafstu-
ben der Schüler hießen Hellas, Forum, Germania, Athen,
Akropolis, Sparta. Hesse gehörte zur Hellas-Stube. In einem Brief
beklagt sich der Vierzehnjährige allerdings, daß hier nicht Demo-
kratie, sondern »strengste Oligarchie« herrsche. Der Tagesablauf
ist penibel geregelt, und freie Zeit gibt es nur am Sonntag. Unter-
richt, das bedeutet hier: wie formbares Wachs behandelt werden,
bis am Ende der perfekte Untertan dasteht. Denn die Zöglinge
sollen später einmal Pfarrer oder Lehrer werden. Nur ein halbes
Jahr ist Hesse hier Schüler. Dann läuft er fort, wird religiert und
gerät in schwere Entwicklungskrisen. Doch wird es eine prägende
Zeit, ohne die sein späteres Werk nicht denkbar ist. In »Unterm
Rad« liefert er eine Innenansicht dieses Typs Drillschule. In
↑ » Narziß und Goldmund « lesen wir von »Mariabronn«, und im
↑ » Glasperlenspiel« von ↑ Kasta-lien.
Mäzene
Ohne ihre Hilfe hätte Hesse die schweren Jahre seit der Trennung
von seiner Familie (1919) bis zur Ehe mit Ninon Dolbin (1931)
kaum überstanden. Es waren vor allem Freundschaftsdienste
kunstsinniger Bürger, denen Hesse sein Überleben in schwieriger
Zeit verdankte. Auch boten ihm diese Mäzene ihre Häuser und
Wohnungen für Arbeitsaufenthalte an. So überwinterte Hesse seit
1925 (auf der Flucht vor der Kälte in der Casa Camuzzi) in Zürich in
einem Appartement am Schanzengraben, das ihm Alice und Fritz
Leuthold zur Verfügung stellten. Fritz Leuthold, Direktor des Wa-
renhauses Jelmoli in Zürich, und seine Frau Alice hatte Hesse be-
reits 1911 auf der Fahrt von Singapur nach Colombo
kennengelernt. Im Sommer wohnte Hesse des öfteren bei Max
Wassmer auf Schloß Bremgarten. Hilfreich waren auch der Groß-
kaufmann Georg Reinhart, mit dem Hesse seit dem Ersten Welt-
krieg freundschaftlich verkehrte. Reinhart beteiligte sich 1950 auch
an der Neugründung des Suhrkamp Verlages.
Vor allem aber war es H. C. Bodmer, der für Hesse nach dessen
Vorstellungen die Casa Rossa bauen ließ und ihm darin lebens-
langes Wohnrecht gewährte.
Missionswerk
Hesses Großvater mütterlicherseits Hermann Gundert war zuerst
Missionar in Indien, nach seiner Rückkehr aus Indien wurde er in
Calw Redakteur der »Missionsblätter«, unterstützt von seiner
Tochter, Hesses Mutter Marie und Hesses Vater Johannes. Hesse
wird also mitten hinein geboren ins pietistische Bekehrungschri-
stentum. Wo man eifrig geistige Liederbücher zusammenstellte
und durchreisende Missionare aus aller Welt im Hause zu Gast
hatte. Vom pietistischen Bekehrungswillen und Dogmatismus des
Wortes mußte er sich später energisch freimachen, den Sinn für
die Magie der Buchstaben aber und die Hochachtung vor jeder
Erscheinungsform des Lebens als Spiegel des Göttlichen verlor er
nie. Die besondere Atmosphäre seiner Sprache hat hier eine ihrer
Wurzeln.
Mitternacht
»Eine Stunde hinter Mitternacht« von 1899 ist ein Buch ganz im
Geiste der Neuromantik! Es erschien bei Eugen Diederichs durch
Vermittlung dessen junger Frau Helene ↑ Voigt , die sich für Hesse interessierte. Der hier ebenfalls noch neuromantisch gestimmte
Rainer Maria Rilke verfaßt im Sommer 1899 eine Kritik. Darin ist
die Rede von Worten, die knien, und vom Anfang aller Kunst in
der Frömmigkeit: »Frömmigkeit gegen sich selbst, gegen jedes
Erleben, gegen alle Dinge, gegen ein großes Vorbild und die eige-
ne ungeprobte Kraft.« Allerdings bemerkt (und bemängelt) Rilke
auch »viel Abstraktes«: »Es ist eine gewisse Sonntagssprache dar-
in, und der Autor scheint noch wenig Sonntage gefühlt zu haben:
zu neu und unbenutzt erweist sich manches Wort.« Dennoch, in
seinen besten Stellen beschließt Rilke, sei dieses Buch »notwen-
dig und eigenartig«. In gewisser Weise ist es die Prosafassung
seines Lyrikdebüts »Romantische Lieder« von 1898. Dieses enthält
auch ein Gedicht mit dem Titel »Eine Stunde hinter
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