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Hesse-ABC

Hesse-ABC

Titel: Hesse-ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Decker
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Zeit lebt der geistige Mensch im-
    mer in einer Art »innerer Emigration«. Auch das ist der Bund. Nur
    der vollkommene, der kompromißlose Künstler wird zum voll-
    kommenen Menschen, wie der vollkommene Mensch immer ein
    Künstler ist. Dieses Ideal Goethes lebt in Hesse. Und es ist noch
    etwas anderes, das späte lächelnde Anerkennen seiner großen
    Hinterindien-Reise von 1911. Sie scheiterte – auch an falschen
    Erwartungen, die Hesse an sie knüpfte. Vielleicht wurzelt Schei-
    tern ja überhaupt in falschen Erwartungen? Das sind die Fragen,
    die Hesse in diesem höchst symbolischen Buch stellt – und die er
    sich hütet, vorschnell zu beantworten.

    Mozart
    Lebenslang fasziniert er Hesse. Eine Tagebuchnotiz aus dem Jahre
    1920 macht das deutlich: »Da fällt mir das Wort ein, das magische
    Wort für diesen Tag, ich schreibe es groß über dieses Blatt:
    MOZART. Das bedeutet: die Welt hat einen Sinn, und er ist uns
    erspürbar im Gleichnis der Musik.« Im »Steppenwolf« spielt Mo-
    zart (neben ↑ Goethe ) eine heimliche Hauptrolle. Hesse liest alles über ihn, was er bekommen kann, und hört die Musik mit unverminderter Bezauberung. Es verbirgt sich in den scheinbar so hel-
    len und klaren Melodien ein Geheimnis, eines, das auch in Mozart
    selbst ist: »Je mehr man Mozart liebt, je mehr man sich mit ihm
    beschäftigt, desto rätselhafter wird seine Persönlichkeit. Es gibt
    Bilder des etwa Elfjährigen, die einen frühreifen, fertigen, unheim-
    lich abgeschlossenen Menschen zeigen, und es gibt Bilder und
    Briefe des viel Älteren, aus denen ein Kind uns ansieht.« Worin
    liegt die Faszination Mozarts? In seiner Genialität, die ein Ge-
    schenk ist. Milos Forman hat das in seinem kongenialen Mozart-
    Film »Amadeus« anhand des eifersüchtigen Streits mit dem eher
    biederen Schulmusiker Salieri gezeigt. In Mozart haben wir ein
    ↑ Genie vor uns, das, wie Hesse anfügt, »ununterbrochen fleißig gewesen ist«.
    Diesem Geheimnis der alterslosen Genialität spürt Hesse nach:
    »... oft scheint es, als habe Mozart mit einer verzehrenden Intensi-
    tät gelebt, geliebt und gelitten, dann wieder gewinnt man den
    Eindruck, er habe überhaupt nicht gelebt, es sei jeder Reiz und Ruf
    in Wirklichkeit in diesem seligen Geist ohne Umwege sofort zu
    Musik geworden.« Hesse sieht in der Musik vor allem eine »wun-
    derbare Quelle der Erneuerung«. Mozart ist, was Deutschland her-
    vorgebracht hat. Mozart, das ist für Hesse eine sich ins
    musikalische Exil zurückziehende Heimat.
    Welch Szenerie, in der uns Mozart im »magischen Theater« ent-
    gegentritt! Ein Lehrmeister der burlesken Art für den pathetisch in
    Welt-Schmerz verliebten Harry Haller – der saxophonspielende
    Mozart-Pablo! Als Verführer zu einer Vernunft, wie sie uns auf
    Universitäten (deutschen insbesondere) nicht begegnet. Ein Ko-
    bold, kein Dämon! Eine satirische Pferdekur im Spiegelkabinett
    der Eitelkeiten. Wir erinnern uns an Erasmus' »Lob der Torheit«
    und wissen wieder, was für freie Geister doch die Humanisten
    waren. Und Mozart ist ihr Geisteskind. Kein Reformator! Kein an-
    gestrengter Erneuerer und kein fanatisierter Revolutionär. Darum
    liebt ihn Hesse so, weil er all das nicht ist. Seine Lektion für Harry, den sich selbst in seinem Leiden stilisierenden Steppenwolf, lautet: »Gewiß, das Leben ist immer furchtbar. Wir können nichts
    dafür und sind doch verantwortlich.« Was kann man da tun? Har-
    ry, dieser Krankheitsfall der modernen Zivilisation, soll es endlich
    lernen. »Sie sollen lachen lernen, das wird von Ihnen verlangt. Sie
    sollen den Humor des Lebens, den Galgenhumor dieses Lebens
    erfassen.« Da ahnen wir, was Mozart für Hesse an existentiellem
    Halt bedeutete: ein Maßstab für seelische Gesundheit zu sein, in
    Augenblicken, in denen er den leichten Ton zu verlieren, in Chaos
    und Maßlosigkeit zu versinken fürchtete.
    Inmitten der Krisis aber tanzt einer, der nicht totzukriegen ist: Mo-
    zart. Seine Unschuld und Heiterkeit sind die eines Wissenden, wie
    Hesse anmerkt. So wird das »magische Theater« zur heilsamen
    Selbsttherapie der an der Zivilisation krank gewordenen Seele des
    Dauer-Kurgastes und Steppenwolfes Hesse. Der Schlußsatz des
    »Steppenwolfes« lautet darum nicht von ungefähr: »Mozart warte-
    te auf mich.«

    Musik
    Hesses Verhältnis zur Musik ist von der Hausmusik geprägt, mit
    der er aufwuchs. Die Welt der Konzertsäle dagegen erschien ihm
    eher als etwas dem Wesen der Musik Unangemessenes.

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