Hesse-ABC
vermag.
Hesse hat Thomas Mann im »Glasperlenspiel« als Glasperlen-
spielmeister Thomas von Trave auftreten lassen und schrieb 1950
zu seinem 75. Geburtstag von ihrer beider Freundschaft inmitten
der »Scheingeborgenheit unsrer nationalen Zugehörigkeit«, die
»durch die Vereinsamung und Verfemung hindurch bis in die sau-
bere und etwas kühle Luft eines Weltbürgertums« reiche. Erika
Mann hat 1956 über das Verhältnis ihres Vaters zu Hesse ge-
schrieben: »Er und mein Vater sind Freunde gewesen, Brüder im
Geiste (bei vielen Verschiedenheiten) und darin einander ähnlich,
daß sie alt zu werden und sich gleichwohl zu hüten wußten vor
dem trüben Einfluß nahenden Greisentums. Selbst im Umgang:
wie jung und elastisch, wie empfänglich und aufgeschlossen war
unser ›Zauberer‹ bis zum Ende – nicht anders als der Weggenosse,
der, mancher Beschwerde zum Trotz, heller dreinschaut, herzli-
cher lacht, schärfer beobachtet, wärmer empfindet als die meisten
von uns ...« Und Golo Mann sah in Hesse den klareren politischen
Kopf von beiden: »Hermann Hesse war, in aller Diskretion und
Schlichtheit, ein sehr kluger politischer Beurteiler, Thomas Mann
darin überlegen, daß sein Urteil in dieser Sphäre niemals von Li-
teratur angekränkelt war.«
März
Die erste Nummer dieser literarischen Zeitschrift erschien im Ja-
nuar 1907. Der Verleger Albert Langen, der auch bereits den
»Simplicissimus« gegründet hatte, rief sie ins Leben. Als ein Fo-
rum des Anti-Wilhelminismus. Ludwig Thoma wurde Chefredak-
teur. Und beschrieb – bajuwarisch-hemdsärmlig – die Ziele des
»März«: »Wir wollen alle süddeutschen Kräfte sammeln und zei-
gen, daß wir Kerle sind.« Hesse, als Mitherausgeber, war für die
Belletristik zuständig. Erzählungen wie »Schön ist die Jugend«
oder »Ladidel« schrieb er für den »März«. Besonders fühlte er sich
dem Erbe der Romantik verpflichtet. So gab er »Des Knaben Wun-
derhorn«, Steffens »Erinnerungen an die Romantik« und Mörikes
»Liebesbriefe« neu heraus. Zu dieser Zeit enthielt sich Hesse noch
jeglicher politischen Kommentare, obwohl er sich »gern an der
Opposition gegen Kaiser und Wilhelminismus beteiligte«. Diese
sah dann allerdings so aus, daß er sich mit antipreußischem Eifer
in der Abgeschiedenheit seiner Landexistenz verschanzte: »Lauter
Literatur! Das Zeug wird mir ganz fremd, da ich seit Tagen nichts
tue als Erde graben, Wasser tragen, Salat säen, mein Boot vertee-
ren usw.«
Maschinenkultur
Eher Unkultur! Letztlich ist dem Rousseauisten Hesse jede Form
der Verkünstlichung des natürlichen Lebens bloße Entfremdung
( ↑ Autojagd ). Maschinen beschleunigen, aber Hesse verteidigt die Langsamkeit. Sie ist menschengemäß. Maschinen dagegen stehen
in der Logik eines kapitalistischen »Zeit ist Geld«, gegen das sich
Hesse sperrt: »Mein Widerwille gegen jenen Glaubenssatz der
modernen Welt und gegen diese moderne Welt selbst, worunter
ich die ganze Maschinenkultur verstehe, ist so groß, daß ich es,
wo irgend möglich, verschmähe, mich den Gesetzen dieser Welt
anzupassen.«
Maskenball
In ↑ Zürich, in den Wintern 192 5 und 1926, versucht Hesse zu lernen, wie man sich amüsiert: »Ich war ein richtiger Foxtrottel, daß
ich mich 30 Jahre mit dem Problem der Menschheit abgemüht
habe, ohne zu wissen, was ein Maskenball ist. Ich glaubte, die
Leute seien alle ungefähr so wie ich. Hätte ich gewußt, wie ein-
fach, dumm und lieb die Herren Menschen sind, so wäre mir viel
erspart geblieben.« Dennoch kehrt nach kurzer befreiender Hinga-
be an die Verführungen der Nacht immer die Gewißheit wieder: Er
selbst gehört nicht zu den Glücklichen, mit dem Leben jederzeit
Einverstandenen, die es leichtzunehmen verstehen. Er ähnelt zu
sehr ↑ Harry Haller, dem ↑ Steppenwolf, um ni cht sofort wieder mit dem schweren Schritt des selbstquälerischen Pathos den leicht-spielerischen Fluß der Tanzschritte zu stören. Nein, Hesse ist für
ein Leben, das es sich leichtmacht, nicht geschaffen. So wird er
auch hier wieder zum Außenseiter, zum kalten Material sammeln-
den Beobachter, der an einem neuen Buch (dem »Steppenwolf«)
arbeitet.
Massageten
Bewohner eines Orwellschen Staatswesens. Mit Freude unkritisch,
so scheint es. Erlaubt ist, was der Macht schmeichelt. Hesse hat
einen Instinkt für Zustände, in denen der Verlust individueller
Freiheit als ein geringer Schaden angesehen wird – dagegen
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