Hesse-ABC
und
friedlich, wußten nichts von der Not, nichts von Krieg, nichts von
Gemeinheit.« Aber die Romantik hat Risse bekommen, es ist Zwi-
schenkriegszeit, und Hesse spürt es. Er ist immer empfindlicher
gegen die Begleiterscheinungen der Zivilisation geworden, nun
stört ihn auch der Lärm der Flugzeuge erheblich. Technik, das ist
etwas, das Hesse ohnehin mit großem Mißtrauen beobachtet. Die
frühe Faszination ist purem Entsetzen gewichen – über ihre Zer-
störungs-Möglichkeiten. Dennoch: Als Mensch durch die Luft zu
reisen, das bleibt ein Ereignis. Derart von widerstreitenden Ge-
danken und Gefühlen beherrscht, bekennt sich Hesse weiterhin
zur außerordentlichen Vogel-Existenz. Fliegen ist eine poetische
Existenzform. Der Dichter als ein im wahrsten (Doppel-) Sinne
Vogelfreier erklärt der Transparenz und Alltagsenthobenheit der
Lüfte – sehr geschäftsmäßig nüchtern – seine Liebe: »Sobald es
Flugzeuge mit langen Dauerflügen geben wird, auf denen man wie
auf einem Segelschiff Wochen und Monate leben kann, werde ich
mich bei der Lufthansa nach den Bedingungen erkundigen.«
Lulu
Nicht Wedekinds männermordende Megäre, sondern Julie Hell-
mann, die Tochter des »Kronen«-Wirtes in Kirchheim a. d. Teck.
Hesse lernte das Mädchen 1899 bei einem Ausflug des Tübinger
Freundeskreises »petit cénacle« kennen. Ebenso wie sein Freund
Ludwig ↑ Finckh verl iebt sich Hesse sofort in sie. Natürlich hat er auch sofort darüber geschrieben und ihr im »Hermann ↑ Lauscher«
das Lulu-Kapitel gewidmet.
M
Magie
Ein Mittel, mit dessen Hilfe er oft den Kampf mit der »blöden
Wirklichkeit« gewonnen habe. Gemeint ist etwas Simples – Hesses
Klapphocker! Ein Sitz-Platz für unterwegs, zum Malen in der Na-
tur, zum intensiven Schauen. Entscheidend allein: dem Gesehenen
eine Traum-Dimension mehr geben!
Mann, Thomas
Parallel zum »Peter Camenzind« erscheint 1903 bei Samuel Fi-
scher Thomas Manns »Tonio Kröger«. Zwei in ihrem ironisch di-
stanzierten Blick auf die fremde Welt des bürgerlichen Erfolgs, der
geradezu inständigen Versicherung des echten Erinnerungs-Kerns
von Leben, einander sehr verwandte Bücher. Hesse lernt Mann bei
einem Verlagsempfang des Fischer-Verlages kennen und erkun-
digt sich bei ihm ahnungslos, ob er denn der Verfasser der drei
Romane der Herzogin von Assy sei. Das hat aber der lebenslang
guten, fast freundschaftlichen Beziehung beider keinen Abbruch
getan. 1910 besprach Hesse für den »März« Manns »Königliche
Hoheit«, besuchte ihn in München, traf sich mit ihm beim Skiur-
laub in der Nähe von St. Moritz. Umgekehrt kam Thomas Mann
1933 zu Hesse nach Montagnola. Beide wußten sie sich ähnlich in
ihrem Blick auf den Bürger. Keine Radikalverweigerer, eher skepti-
sche Ironiker und auf epische Weise Möglichkeit als Gegenwelt
zur Wirklichkeit Erträumende. Beide hatten ein intensives Verhält-
nis zu Nietzsche, dem radikalen Traditionsaufkündiger und Tabu-
brecher – und gleichzeitig wie wenige andere ein Bewußtsein für
die traditionalen Unterströme im Hauptstrom des Zeit-Geistes.
Beide hatten ein unzeitgemäßes Verhältnis nicht nur zu Religion
und Metaphysik, sondern auch zum Mythos und zur Mystik. Beide
schlugen sich mit der Fatalität des Deutschen im 20. Jahrhundert
herum, beide blickten sie nach Osten, liebten Dostojewski. Beide
einte sie ein etwas antiquierter 19.-Jahrhundert-Habitus. Sie blick-
ten mißtrauisch auf die Staatsgläubigkeit und teilten einen Welt-
schlüssel: die Musik. Thomas Mann im »Doktor Faustus« und
Hesse in seinem »Glasperlenspiel« – sie lassen die rauschhafte
Wagnermusik zurück und suchen jene Wahrheit in der Musik, die
das Menschliche stärkt und nicht in sich verbrennt. Thomas
Manns Verhältnis zu Hesse besteht aus Freundschaftsbekundun-
gen, Lob und praktischer Hilfsbereitschaft (er war es, der Hesse
immer wieder für den Nobelpreis ins Gespräch brachte) – und je-
ner leichten Herablassung, die es Mann erst möglich machte, mit
Kollegen befreundet zu sein. Als Mann bei der Arbeit am »Doktor
Faustus« hörte, Hesse arbeite auch an einem Roman über den
Mythos der Musik, war er erst einmal geschockt. Voller Unruhe
nahm er das ihm übersandte Exemplar zur Hand – und war er-
leichtert. Ohne Schwierigkeiten konnte er jetzt Hesse zu seinem
Meisterwerk in höchsten Tönen gratulieren; so ausgiebig lobend,
wie es nur ein sich allzeit überlegen Wissender
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