Heute Und in Ewigkeit
dass ich hier drin ein alter Mann werde?«
»Hör auf. Du bist erst einunddreißig. Du bist noch jung. Du wirst bestimmt vorzeitig entlassen. Ehe du dichs versiehst, bist du wieder draußen.«
Würden wir bei ihm wohnen, wenn er wieder rauskam? Würde Lulu das erlauben?
»Wer redet jetzt irres Zeug?«, erwiderte Daddy. »Und wenn ich hundert werde, lassen die mich hier nicht wieder raus. Ich habe lebenslänglich. Glaubst du vielleicht, die lassen mich nach zehn Jahren wieder frei? Oder zwanzig?«
»Es gibt doch diese Anhörungen, ob du Bewährung bekommst.« Oma verdrehte ein weißes Taschentuch mit schwarzen Rauten am Rand in den Händen.
Ich lugte zu den Wärtern hinüber, ob die etwas bemerkten. Gefängnisfamilien sahen nie die anderen Familien an, auch wir hielten unseren Streit immer schön leise und ließen alles nur nach und nach hervorsickern.
Daddy schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen, als gebe er Großmutter die Schuld für irgendetwas.
»Alle Mädchen haben gestern Abend zusammen Kürbiskuchen gebacken«, log ich. »Für den Herbst.«
»Wirklich?« Oma sah so aus, als glaube sie mir kein bisschen.
»Ja.« Ich starrte ihr direkt ins Gesicht. »Wir haben Kürbisse ausgehöhlt, das Innere gekocht und Kuchen daraus gemacht.« Das hatte ich in einem Buch gelesen, wie lange Kürbis kochen musste, und alles über das faserige rohe Zeug innen drin.
»Das klingt gut«, sagte Daddy. »Schade, dass du mir nicht auch ein Stück mitbringen durftest, hm?«
»Ja, das ist schade.« Ich wich Omas Blick aus.
»Mann, ist das lange her, dass ich das letzte Mal Kürbiskuchen gegessen habe. Habt ihr ganz viel Zimt reingetan? Und Ingwer? Solche Kuchen habe ich schon immer gemocht.«
»Er hat geschmeckt wie Pfefferkuchen«, behauptete ich.
Oma zwickte mich unter dem Tisch in den Oberschenkel. Genug , warnten ihre spitzen Finger.
Daddy lehnte sich zurück, hob die muskulösen Arme und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. Ein verträumter Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Kürbiskuchen. Was würde ich darum geben.«
»Aber sicher«, erwiderte Oma. »Wenn Wünsche Pferde wären, könnten Bettler fliegen. Also, was ist mit diesem Programm, von dem du mir geschrieben hast?«
»Dem Förderprogramm?«, fragte er.
»Es stimmt also? Du könntest endlich einen richtigen Beruf erlernen?«
»Ma, ich hatte vorher auch Arbeit.«
Vorher bedeutete, als Mama noch lebte. Lulu sagte das auch – aber sie sagte immer rede nicht von vorher. Das ist mir egal. Ich tippte an das obere Ende meiner Narbe, ehe ich mich davon abhalten konnte.
»Eine Wischiwaschi-Arbeit, das hattest du. Ach was. Ich rede von einer richtigen Ausbildung, einem Beruf«, wiederholte Oma.
»Messingbeschläge für Schiffe zu fertigen, ist kein Wischiwaschi, Ma. Vermutlich war es sogar dieser Job, meine Erfahrung mit einer Arbeit ohne Fehlertoleranz, die mich überhaupt auf diese Liste gebracht hat.«
»Was ist Fehlertoleranz?«, fragte ich.
»Frag doch deine Großmutter. Sie ist ja so klug und weiß immer alles.«
»Hör auf mit dem selbstmitleidigen Getue. Es tut mir leid, dass ich dich beleidigt habe. Und jetzt antworte deiner Tochter.«
Daddy ließ die Schultern kreisen. »Ohne Fehlertoleranz arbeiten bedeutet, dass man sich an ganz genaue Maße halten muss, denn wenn man irgendwo nur ein kleines bisschen danebenliegt, kann das, was man gerade baut, schon ruiniert sein.«
»Du darfst also hier drin Sachen bauen?« Was er in diesem Gefängnis machte, war mir ein Rätsel. Jedes Mal, wenn ich ihn danach fragte, wechselte er das Thema und sagte: »Ach, lass das langweilige Gefängnis. Sprechen wir lieber über dich.«
»Sie eröffnen hier ein Förderprogramm, eine Optikerwerkstatt, da werden Linsen hergestellt. Ich wollte da mitmachen, damit ich Arbeit finde, wenn ich rauskomme.«
»Wann kommst du denn raus, Daddy?« Darüber wollte er auch nie reden, meistens erwiderte er das werden wir mit der Zeit schon sehen , was mir gar nichts sagte.
»Vielleicht bekomme ich in zwanzig oder dreißig Jahren Bewährung wegen guter Führung.«
In zwanzig oder dreißig Jahren! Dann würde ich neunundzwanzig oder neununddreißig sein. Mein Vater würde ein alter Mann sein. Einundfünfzig oder einundsechzig. Konnte er da überhaupt noch arbeiten?
Wie sollte ich ihn so viele Jahre lang fröhlich machen? Oma sagte immer, es sei meine Aufgabe, Daddy aufzumuntern.
»Deine Mutter hat ihn weiß Gott nie froh gemacht.« Oma schüttelte
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