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Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Randy Susan Meyers
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ich noch zu klein gewesen sei, aber ich erinnere mich gut daran, dass Mama gesagt hatte, vielleicht hätte sie ihre Chance verpasst. Wenn sie Daddy nicht geheiratet hätte, hatte sie gesagt, dann könnte sie jetzt auch frei sein. Dann wäre sie nach Woodstock gegangen. Ich wusste, dass das stimmte, obwohl Lulu glaubte, ich erinnerte mich an gar nichts mehr.
    »Damit sie tun können, was sie wollen, und sich nicht darum kümmern müssen, was andere davon halten.« Oma rümpfte die Nase, als fürchtete sie, ich könnte davonlaufen und auch ein Hippie werden. Na ja, wenn ich das täte, wäre es mir vielleicht egal, wenn andere Leute mich Knastmädchen nannten. Ich würde einfach in meinem Cape herumwirbeln und sie verschwinden lassen.
    Die Fähre erreichte den Steg. Der kratzende, kreischende Lärm, den sie beim Anlegen machte, zog mir die Schultern bis an die Ohren. Jetzt stand uns noch eine lange Taxifahrt bevor, und Oma würde genau beobachten, wie der Zähler jede Sekunde weiterklickte. Oma weigerte sich, den Bus zu nehmen. »Ich fahre nicht mit dem Abschaum, der ins Gefängnis will«, sagte sie jedes Mal, als wären wir besser als der Rest der traurigen Menschen, die wir jeden zweiten Samstag hier sahen.
    Sobald wir sicher vom Taxi umhüllt waren, lehnte ich die Stirn an das schmutzige Fenster und sah zu, wie Staten Island lautlos vorbeiglitt. Außer bei diesen Besuchen fuhr ich nie in einem Auto. Einfamilienhäuser säumten die Straße, kleine, dünne Bäume wuchsen hier und da auf den quadratischen Rasenflächen. Auf Staten Island schien mehr Sonne herunter als auf Brooklyn. Da war ich ganz sicher.
    Als wir uns dem Gefängnis näherten, veränderte sich die Gegend. Die großzügigen Bungalows wichen heruntergekommenen Häusern, Wohnwägen und dann Läden. Imbisse und Schuhgeschäfte standen zwischen trübselig aussehenden Gebäuden mit Schildern, auf denen Anwalt/Abogado stand. Die Welt wurde grauer.
    Das Richmond County Prison ragte so finster vor uns auf wie Schloss Dracula. Bei jedem Besuch erwartete ich, dass das große Holztor nach außen auffallen würde wie eine Zugbrücke. Maschendrahtzaun umfing das Gebäude wie ein großes Spinnennetz. Das Taxi blieb neben dem Haupteingang stehen, aber der mit Stacheldraht gekrönte Zaun hielt uns ein gutes Stück von der Tür ab.
    Oma zählte das Fahrtgeld sorgfältig ab und spähte dabei immer wieder auf den Zähler, als könnte der Preis noch weiter steigen, während sie ihre Vierteldollars zusammensuchte. Ich stieg zuerst aus, reichte ihr die Hand, um ihr aus dem Taxi zu helfen, und hielt ihr ihren Stock hin. Sie stöhnte und rieb sich den Rücken, ehe sie ihn nahm. Als sie die Tür des Wagens zuschlug, taumelte sie ein bisschen. Ich schnappte nach Luft, denn ich sah sie schon auf die Straße stürzen.
    »Alles in Ordnung?«, fragte ich. Atemlose Panik erfasste mich. Wenn Oma irgendetwas zustieß, was würde ich dann machen, ganz allein auf Staten Island? Wenn Oma oder Lulu irgendetwas passierte, wäre ich ganz allein auf der Welt.
    Oma hob die Hand und winkte ab. »Keine Sorge. Heute sterbe ich noch nicht.«
    »Oma, bitte red nicht so.«
    »Schön. Ich verspreche dir, dass ich nicht sterben werde, wenn du dabei bist. Okay?«
    Konnte Oma meine Gedanken lesen? Wusste sie, dass ich Angst hatte, sie könnte vor meinen Augen sterben, aber dass ich auch so leise wie möglich in meinem Bett im Duffy weinte, bei der Vorstellung, sie könnte ganz allein sterben und ihr Leichnam über die Woche schon ein bisschen verrotten, bis zum Samstag, wenn ich dann mit meinem Schlüssel kam und die Wohnungstür aufschloss?
    Bitte, lieber Gott, lass es an einem der Samstage sein, an denen Lulu dabei ist, nicht an einem Daddy-Besuchs-Samstag.
    Oma klopfte sich den Staub von ihrem gepunkteten dunkelblauen Kleid und straffte die Schultern. »Komm. Dein Vater wartet.«
    Wir gingen Hand in Hand durchs Tor. Einmal mehr tastete ich die Taschen meiner Strickjacke ab, um mich zum hundertsten Mal zu vergewissern, dass ich nichts von der Verbotsliste dabeihatte, die auf Omas Couchtisch lag. Ich hatte sie auswendig gelernt, genau so, wie die Lehrerin uns erklärt hatte, wie wir uns in Geschichte Daten einprägen sollten: Sprich sie zunächst nur im Kopf, sprich sie dann laut aus, und wiederhole sie fünfmal.
    Regel: Kinder unter achtzehn Jahren müssen eine Geburtsurkunde mitführen. Sie müssen von einem Elternteil oder gesetzlichen Vertreter begleitet werden.
    Das Gefängnis war der Grund,

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