Heute Und in Ewigkeit
weshalb Oma Zelda letztlich unsere gesetzliche Vertreterin geworden war, sogar schon vor Mimi Rubees Tod. Mimi Rubee wollte mich nicht zu Daddy bringen, aber nachdem ich lange genug gebettelt hatte, war sie schließlich damit einverstanden, dass Oma Zelda mich hinbrachte, und machte Daddys Mutter zu unserem Vormund, obwohl Tante Cilla sie deswegen anschrie. Jetzt konnte ich nicht mehr aufhören hinzugehen. Oma erwartete das von mir, und Daddy – na ja, ich wusste nicht, was er tun würde, wenn ich nicht mehr zu Besuch käme.
Regel: keine Hüte, Lebensmittel, Jacken, Getränke, Kaugummi oder Süßigkeiten. Keine aufreizende Kleidung. Nichts in den Taschen.
Die dünnen, kleinen Schließfächer, wo wir alles lassen mussten, stanken nach schmutzigen Jacken und vergammeltem Essen, vermutlich Sachen, die jemand an den Wachen hatte vorbeischmuggeln wollen.
Regel: Sie dürfen den Häftling zu Beginn und Ende jedes Besuchs kurz umarmen.
Mir graute vor diesen Momenten, und dennoch wartete ich darauf.
Regel: Die Häftlinge dürfen insgesamt fünf kleine Taschenbücher erhalten, mit Ausnahme der Bücher, die der Oberaufseher für unpassend erachtet.
Während wir den langen, schäbigen Flur zur Anmeldung entlangliefen, betete ich darum, dass Officer McNulty heute die Oberaufsicht hatte. Er würde wie immer lächeln und die Bücher, die wir mitbrachten, nur flüchtig betrachten. Der schlimmste, Officer Rogers, warf bei jedem Besuch mindestens ein Buch weg – weil es anzüglich sei, behauptete er immer. Als ich Oma fragte, was anzüglich bedeute, schüttelte sie nur den Kopf und sagte, ich solle das Wort gleich wieder vergessen. Susannah sagte, dabei gehe es um Sex. Ich wusste über Sex Bescheid. Im Duffy blieb nichts geheim.
Regel: Die Häftlinge dürfen insgesamt fünf Familienfotos besitzen. Kein Porträt darf größer sein als 10 x 15 cm.
Ich hatte von den Vierteldollars, die Oma mir manchmal zusteckte, schon zwei Dollar für eine Kamera gespart. Lulu wusste von meinem Plan, Daddy Fotos zu bringen, und sie warnte mich, ja kein Foto von ihr zu machen. Nicht, wenn ich es ihm schenken wollte, betonte sie.
Oma tastete meine Taschen ab. »Leer?«
Ich nickte und folgte ihr den Flur entlang. Frauen, Kinder und ein paar Männer standen vor den Wachen Schlange. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah nach, welcher Wärter heute Dienst hatte. McNulty! Trotzdem hatte ich kleine Bläschen aus Angst in der Kehle. Ich ballte die Fäuste und öffnete sie wieder. Ich konnte Susannah nirgends sehen.
Vor mir stand eine blasse, teigige Frau, deren Kopfhaut durch das schüttere rote Haar schimmerte. Hinter Oma brummte eine kleine Frau mit riesigen silbernen Kreolen alle paar Sekunden »verdammt«. Ihre Afro-Frisur war größer als ihr Kopf.
»Glaubst du, dass sie Angela Davis mit diesen albernen Ohrringen durchlassen werden?«, flüsterte Oma und wies mit einem Nicken hinter sich.
»Psst.« Ich wusste nicht genau, wer Angela Davis war, aber ich glaubte, dass Oma das nicht als Kompliment gemeint hatte. Ich versuchte, nicht nach hinten zu spähen, um mich zu vergewissern, ob die Frau es gehört hatte. Mein Magen knurrte. Ich wünschte, ich hätte auf der Fähre mehr Süßigkeiten gegessen.
Als wir an die Reihe kamen, lächelte Officer McNulty mich an. Er stand groß und aufrecht da, wie die Soldaten, die den Palast in England bewachten. »Auch wieder hier?«
Ich grinste breit zurück, hob den Arm und wartete darauf, dass er mich abtastete. Er machte es schnell, nicht wie so manch anderer. Die hasste ich.
»Dein Dad kann es kaum mehr erwarten.« Officer McNultys freundliches Gesicht machte den Eindruck, als wünschte er sich wirklich, dass es für mich ein schöner Besuch wurde.
Ich überlegte, was ich sagen könnte, damit ich mich gut anhörte.
»Ihnen auch einen schönen Tag, Officer«, entgegnete ich.
Die Afro-Frau schnalzte mit der Zunge, als wollte sie mir damit etwas sagen.
Officer McNulty drückte meine Schulter. »Du bist ein braves Mädchen, Merry. Jetzt geh zu deinem Daddy.«
5
Merr y
ma und ich betraten den Besuchsraum. Die beigefarbenen Fliesen hatten überall Flecken, die man bestimmt in einer Million Jahren nicht wegschrubben konnte. Wahrscheinlich Blut und verspritztes Gehirn von Gefängnisschlägereien.
Metalltische mit Gummirändern und fest angeschraubten Bänken standen im Raum aufgereiht. Besucher und Familien saßen auf der einen Seite, die Männer immer von den Fenstern abgewandt. Schwaches
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