Heute Und in Ewigkeit
junge Dame so etwas trug, nicht diese verrückten Obstkerne, die sich die Hippie-Mädchen um den Hals hängten, und mich ermahnt, dass ich die Ohrringe Merry geben solle, wenn sie alt genug war.
Natürlich dauerte es genau zwei Tage, dann hatte jemand im Duffy die Ohrringe und die Perlenkette gestohlen.
Oma drückte auf den Summer. Merry rannte in den zweiten Stock hinauf, während ich mich eine abgewetzte Stufe nach der anderen hinaufzwang. Die Gerüche von Kohl und in Hühnchenfett gebratenen Zwiebeln vermischten sich mit denen von Patschuli und Gras. Das Gras erkannte ich deshalb, weil sich manche Mädchen im Heim nachts ins Bad schlichen und Pot rauchten. Danach nebelten sie alles mit Haarspray ein, um den Geruch zu überdecken. Ich rechnete fest damit, dass das Bad eines Tages explodieren würde, wenn irgendein Mädchen Haarspray versprühte und ein anderes gleichzeitig ein Streichholz anzündete.
Das Patschuli kannte ich von den Studentinnen, die sich ehrenamtlich als sogenannte »besondere Freundinnen« mit den älteren Mädchen im Duffy-Parkman-Heim befassten. Hillary Sachs war meine besondere Freundin. Ich wusste nicht, ob sie mir absichtlich eine Jüdin als besondere Freundin zugewiesen hatten oder ob das ein Zufall war. Hillary warf mir mit großen Augen vielsagende Blicke zu, während wir Scrabble spielten oder kleine Ausflüge machten. Ich war noch nicht dahintergekommen, was genau sie mir mit diesen Blicken mitteilen wollte.
Letzte Woche hatte sie gesagt, ich solle mich auf etwas besonders Tolles gefasst machen, wenn wir uns wiedersahen, und das würde morgen sein.
Als ich oben ankam, stand Oma in der Tür, die Arme vor der knochigen Brust verschränkt. Ich konnte mich noch gut an sie als weiche, runde Frau erinnern. Es schnürte mir das Herz zusammen, wenn die Kleidung so lose an ihr herunterhing, dass ich eine zweite Oma hätte hineinquetschen können.
»Wo wart ihr? Ich habe mir solche Sorgen gemacht.«
»Es ist erst zehn nach zwölf.« Ich deutete auf die billige Armbanduhr, die sie trug.
»Ich mache mir schon nach zwei Minuten Sorgen.« Als Oma mich fest umarmte, streckte Merry mir die Zunge heraus.
»Ich habe heißen Borschtsch zum Mittagessen gekocht. Aber natürlich habe ich den Sauerrahm vergessen. Eure Oma ist jetzt offiziell eine alte Idiotin. Was diese Woche übrigens schlüssig bewiesen wurde.«
»Von wem?« Merry nahm sich ein Bonbon aus der Schale mit Süßigkeiten, die Oma immer für uns bereithielt.
»Von wem? Von allen. Misses Edelstein von unten hat mich gebeten, ihren Briefkasten zu leeren, während sie bei ihrem Sohn in New Jersey war, und ratet mal, wer es vergessen hat?«
»Das ist doch nicht schlimm«, sagte ich.
»Glaub mir, das ist nur die Spitze des Eisbergs.« Oma nahm ihre Geldbörse von dem Sekretär, der fast den gesamten briefmarkengroßen Flur einnahm. »Hier, Merry. Geh schnell zum Laden und hol Sauerrahm. Außerdem brauche ich einen Viertelliter Milch und drei Äpfel, aber nicht die mehligen, die sie immer vorne hinlegen. Und nimm auch den Sauerrahm und die Milch von hinten.«
»Eigentlich sollte Lulu gehen müssen. Sie kommt nicht mal jede Woche, und immer muss ich alles machen«, protestierte Merry. »Ich will hier bei dir bleiben.«
»Ich gehe schon.« Ich übernahm das nur zu gerne. In Omas Dreizimmerwohnung erstickte ich beinahe. Ich konnte kaum glauben, dass mein Vater als Teenager hier gewohnt hatte. Er musste die ganze Wohnung verstopft haben. In der winzigen Küche standen ein kleiner Tisch mit einer zu oft geschrubbten roten Wachsdecke, ein uralter Kühlschrank und ein Herd, der aussah, als gehörte er ins Brooklyn Museum. Ein braunes Samtsofa mit passendem Sessel überfüllten bereits das Wohnzimmer, trotzdem hatte Oma noch ein paar wackelige Tischchen hineingequetscht und sie mit teebraunen Zierdeckchen beladen. Oma putzte ihre Wohnung praktisch täglich, dennoch hing an allem ein schwerer Geruch nach alter Frau.
»Nein. Du bleibst hier.« Oma drückte Merry das Geld in die Hand. »Und denk daran, alles von hinten nehmen.«
Merry machte sich auf den Weg, und ich rollte mich auf dem alten Sofa zusammen. Ich achtete darauf, mit dem Gesicht nicht den kratzigen Stoff zu berühren, und griff nach der einzigen verfügbaren Lektüre, einer Großdruckausgabe von Reader's Digest .
»Hör auf, den Bücherwurm zu spielen. Ich muss mit dir reden.« Oma setzte sich neben mich aufs Sofa und zog mir die Zeitschrift aus der Hand.
Ich lächelte falsch.
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