Heute Und in Ewigkeit
da.« Reetha stolzierte herein, eine halb bemalte braune Schachtel in der Hand.
Crystal legte schützend den Arm über ihr Blatt. Ich schob meine Welpen unauffällig über ihr Schloss.
»Warum kriechst du nicht wieder unter deinen Stein?«, entgegnete Janine.
Bei ihren Worten schnappte ich nach Luft. Reetha erinnerte mich tatsächlich an eine Nacktschnecke, ganz schwitzig und mit einem Gesicht wie der Glibber um gefilte Fisch. Die gezackten rosa Striche auf ihrer Stirn zeugten davon, dass ihre Mutter sie gegen einen Zaun geschleudert hatte.
»Wie wäre es, wenn du Scheiße frisst?« Reetha streckte die Hand aus und schnappte sich die Silber- und Goldstifte.
»He, die benutzen wir gerade«, sagte ich und versuchte vergeblich, sie ihr aus den Fingern zu reißen.
»Lass dir doch von deiner Oma ein paar neue kaufen.« Reetha schob sich mit ihrem Wurmgesicht dicht vor meines. »Schau mal, Knastmädchen! Ich habe neues Malpapier gefunden. Vielleicht klebe ich meine Schachtel damit aus.«
Ich erkannte das Papier in Reethas Fingern, die Handschrift meines Vaters, den verschmierten Stempel »Richmond County Prison«.
»Liebe Merry«, las Reetha laut vor, ehe ich ihr den Brief wegnehmen konnte. »Oma hat mir geschrieben, dass du eine Eins in deiner Rechtschreibprüfung bekommen hast. Ich gratuliere, Honeypop!«
Crystal riss Reetha das Blatt weg, und sie hatte nur noch einen Fetzen von der Ecke in der Hand.
»Och, jetzt ist er zerrissen«, sagte Reetha. »Nicht weinen, Honeypop! Also, wie übel war deine Mutter, dass dein Vater sie umbringen musste? War sie eine Hure?«
Janine schob sich zwischen uns. »Wie hässlich warst du als Baby, dass deine Mutter dich Urethra genannt hat?«
»Ich heiße Reetha .«
Ich schnappte nach den Stiften, die sie sich genommen hatte. Sie verzog das Gesicht, als wollte sie mir in die Hand beißen, aber ich hielt die Wachsspitzen trotzdem fest, weil sie mir für heute genug weggenommen hatte. Sie biss mir in den Daumen.
»Au!«, schrie ich und ließ die Wachsmalstifte los.
»Spasti«, sagte Janine.
»Alki!«, kreischte Reetha zurück und grabschte nach den roten und violetten Stiften neben Crystal. Ich hasste sie. Ich hasste sie so sehr, dass ich die Schere aus dem Gurkeneimer ziehen und sie ihr in die Kehle rammen wollte.
»Hässliches Narbengesicht!«, schrie ich. »Alle hassen dich.«
Am nächsten Tag wachte ich mit dem scheußlichen Gefühl auf, das man bekommt, wenn etwas nicht stimmt, aber man nicht weiß, was. Es war halb acht am Sonntagmorgen, und in einer halben Stunde würde es Frühstück geben. Das Sonntagsfrühstück war die beste Mahlzeit der ganzen Woche. Pfannkuchen, für jede von uns drei.
Ich strich mir über die Brust. Der Geruch des Shampoos von der Dusche gestern Abend hing in der Luft. Ich hob die Hand, um den Pferdeschwanz zu lösen, mit dem ich immer schlief.
Mein Pferdeschwanz war weg. Nur ein kurzer, stacheliger Stumpf ragte aus dem Gummiband.
Ich versuchte, nicht zu weinen, mir überhaupt nichts anmerken zu lassen, weil Weinen im Duffy alles nur noch schlimmer machte. Ich schmeckte die Tränen in meiner Kehle. Wieder berührte ich meinen Kopf und betastete den Stumpf, wo mein langer Pferdeschwanz gewesen war.
Reetha lächelte mich von ihrem Bett aus an. Ich bohrte mir die Fingernägel in die Handflächen. Enid saß im Schneidersitz auf dem Boden – vermutlich suchte sie nach Krümeln, die sie sich auch noch reinstopfen konnte, das fette Schwein.
Alle im Raum waren still.
»Was ist?«, fragte Reetha dann. »Sieht unsere Heulsuse heute nicht mehr so niedlich aus?«
Meine Locken lagen auf dem Kopfkissen verteilt. Meine Hände zuckten. Am liebsten wäre ich zum Spiegel gerannt, aber diesen Triumph wollte ich Reetha nicht gönnen. Stattdessen riss ich ein dickes, gebundenes Buch von Olives Wandbord, das dickste, das ich finden konnte, und rannte hinüber zu Reethas Bett. Ihr Pyjama sah aus wie ein Schlafanzug für Jungen, und sie roch, als würde sie sich nie da unten waschen.
Ich packte das Buch mit beiden Händen, hob es so hoch wie möglich über meinen Kopf und knallte es Reetha auf den Schädel.
»Hässliche Schlampe.« Ich schlug noch einmal zu und zielte direkt auf die Narben auf ihrer Stirn.
Reetha rollte sich zur Seite und trat mir in den Bauch. »Hochnäsige Jüdin.«
»Aufhören«, warnte Olive. »Da kommt jemand.«
Ich lief zurück zu meinem Bett, sprang hinein und drückte mit zitternden Armen Olives Buch an mich.
Unsere Hausmutter
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