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Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Randy Susan Meyers
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weinen würde. Sie würde Dutzende von Taschentüchern annehmen, die ich ihr reichte, aber sämtliche meiner Vorschläge ablehnen und alle möglichen Arme-Iona-Gründe dafür vorbringen, warum ihr nichts helfen würde. In dem Fachjargon, den ich in den Psychologiekursen an der Northeastern gelernt hatte, befand Iona sich in einer »feindseligen Abhängigkeit« – sie klagte, lehnte jedoch konkrete Hilfe ab. In meinen eigenen Worten hatte ich sie gründlich über, wofür ich mich verachtete und gleich noch mieser fühlte.
    Ionas Exfreund hatte sie geschlagen, vergewaltigt und beinahe umgebracht, und deshalb begegnete ich ihr zwar nach außen hin mitfühlend, doch meine wahre Reaktion auf sie war abscheulich. Alles an Iona war schlapp und hängend, ihr Haar, ihre Schultern, sogar ihre verdammten Fingernägel. Im tiefsten Herzen hätte ich sie am liebsten von mir weggeschubst. Was für ein Opferbeistand Nebenklage – so lautete meine offizielle Bezeichnung – dachte denn bitte so? Schwindlerin, das sollte vielmehr meine Berufsbezeichnung sein.
    Ich zündete mir auf den Stufen vor dem Gerichtsgebäude eine Zigarette an, eine letzte kleine Verzögerung, ehe ich hineinging. Komisch, ich war ganz versessen auf diesen Beruf gewesen. Die Arbeit mit Opfern war mir als der perfekte Job für mich erschienen. Schutz und bessere Vertretung von Opfern waren das große Thema gewesen, als ich meinen Abschluss als Sozialarbeiterin gemacht hatte. Die neu aufgelegten Opferschutzprogramme waren kleine Geschenke, die die Lobbyisten und Befürworter des kürzlich erlassenen Opferschutzgesetzes, der Victims' Bill of Rights, zufriedenstellen sollten. Ich hatte nicht gewusst, was für knauserige, halbgare Geschenke das waren.
    Obwohl ich aus den Psychologiekursen am College wusste, dass ich in diesem Beruf mit Themen konfrontiert sein würde, mit denen ich persönliche Probleme hatte, erschienen mir meine Reaktionen doch sehr extrem. Ich wich vor allen meinen Klientinnen zurück und hätte sie am liebsten angeschrien, sie sollten den Mund halten und endlich aufhören zu weinen. Reißen Sie sich zusammen, Herrgott noch mal.
    Sogar während ich ihr freundliche Unterstützung bot, reizten Ionas Tränen der hilflosen Wut und des Selbstmitleids mich derart, dass ich sie hätte schlagen mögen. Ich murmelte tröstliche Phrasen, nickte und reichte noch mehr Taschentücher an, während ich innerlich die ganze Zeit über schrie Halt endlich dein Maul .
    Irgendwann nach Annes Tod, zwischen Highschool und College, hatte ich einen Ruck verspürt, der mein Leben in eine neue Richtung gelenkt hatte. Allein mit Doktor Cohen in dieser totenstillen Wohnung zu leben, hatte mir jegliche Hoffnung geraubt. Er stellte eine Haushälterin ein, die alles für ihn erledigte, vom Einkauf bis hin zur Korrespondenz mit meiner Schule. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte Doktor Cohen auch jemanden eingestellt, der an seiner Stelle mit mir sprach.
    Sein einziger Ausdruck von Fürsorge für mich lag darin, mich zum Richmond County Prison zu fahren. Er erhöhte die Besuche von einmal monatlich auf alle zwei Wochen und schließlich wöchentlich, und ich wusste nicht, wie ich ihm sagen sollte, dass das zu viel war. Auf irgendeine groteske Weise glaubte er wohl, er könne seine väterliche Verantwortung auf Daddy abwälzen.
    Ohne seine Frau wusste Doktor Cohen nichts mit mir anzufangen. Ich wurde zum verkümmerten Anhängsel seines Lebens. Als er eine Frau kennenlernte, die mir vom Alter her näher war als Anne, konnte er mich gar nicht schnell genug aus dem Haus bekommen.
    Ich zog ein letztes Mal an meiner Zigarette und drückte sie dann auf dem Beton-Blumenkübel vor dem Gebäude aus, ehe ich die schwere Glastür aufzog. Die Tür stöhnte, und ich betrat die Halle, in der dunkles Holz und ehrfurchtsvoll gedämpfte Stimmen vorherrschten. Ich hatte immerzu das Gefühl, dass ich kurz niederknien sollte. Verbrecher und Opfer gleichermaßen liefen mit gesenktem Blick herum. Anwälte und Angestellte des Gerichts eilten aufgeblasen durch die Flure und Säle und kamen sich ungemein wichtig vor. Ich stellte mir vor, dass römische Kardinäle so im Vatikan herumstolzierten.
    Ich fuhr mit dem Aufzug in den vierten Stock. Schmutz machte die Messingschilder unleserlich und bezeugte einmal mehr die Achtlosigkeit des Staates Massachusetts. Der Opfer-Sozialdienst, ein nachträglicher Einfall des Justizsystems, war im Niemandsland des Gerichtsgebäudes untergebracht, zwischen dem

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